Hauptsache Mensch

Der Animationsfilm „Warum ich hier bin“ erzählt von fünf Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen nach Deutschland kamen – anrührend, einfühlsam und ohne zu urteilen. Bei der Kino-Vorstellung begegnet der syrische Junge Ahmad überraschend seinem Alter ego.

Von Ulrike Schnellbach

Warum ich hier bin
"Warum ich hier bin" Postkarte

Der Ahmad im Film ist zehn und kommt aus Syrien. Der pausbäckige Junge wurde in seiner Dorfschule im Odenwald freundlich aufgenommen und hat schnell einen echten Freund gefunden: „Wir sind Seelenverwandte“, sagt der neunjährige Collin über seinen neuen Kameraden und schaut dabei so rührend aus seinen Kinderaugen, dass einem ganz warm ums Herz wird. Collins neuer Freund Ahmad ist einer der Protagonisten in dem Dokumentarfilm „Warum ich hier bin“ von Mieko Azuma und Susanne Mi-Son Quester. Ein netter Zufall, denn zur Filmvorführung hat meine syrische Freundin ihren zwölfjährigen Sohn ins Kino mitgebracht – der heißt auch Ahmad. Der Film erzählt in Interviews und liebevoll gezeichneten Illustrationen die Geschichte von fünf Menschen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen nach Deutschland kamen.

Kampfjets am syrischen Himmel

Auf der Leinwand ist Ahmads Familie gerade beim Picknick am Meer, ein roter Krebs krabbelt über den Strand, als am Himmel Kampfjets herandröhnen. Skeptischer Seitenblick zu dem Ahmad neben mir: Auch er musste mit seiner Familie aus Syrien fliehen und lebt seit vier Jahren in Baden-Württemberg. Ob ihm die Geschichte seines Namensvetters zusetzt? Der Film zeigt Bomben, zerstörte Häuser, den Fußmarsch Richtung Türkei, all das in animierten Szenen, die den realen Schrecken leicht verfremden. Bei Ahmad wird das bestimmt trotzdem traumatische Erinnerungen wachrufen. Das Kino verlassen will er aber nicht. Vielleicht fühlt er sich ein bisschen als Held des Films, der fast genau seine eigene Fluchtgeschichte nachzeichnet? Reden wird er darüber nicht, außer einem „gut“ ist ihm nach der Aufführung kein Kommentar zu entlocken.

Cacao und der Traum vom Profifußball

Gut ist „Warum ich hier bin“ vor allem, weil die beiden Regisseurinnen genau so wenig kommentieren wie Ahmad. Sie lassen ihre Protagonistinnen und Protagonisten einfach erzählen. So entstehen einfühlsame Portraits, die Verständnis wecken für mögliche Gründe, warum Menschen ihre Heimat verlassen: Außer Ahmad ist da die 16-jährige Lena aus Japan, die 2011 vor dem Tsunami und der Atomkatastrophe floh; die Mittdreißigerin Leila, die als Kind dem Bosnienkrieg entkam, nachdem sie ein halbes Jahr im Luftschutzkeller überlebt hatte; Karin Schiller, Anfang 80, musste als Jugendliche nach dem Krieg aus Ostpreußen fliehen, nachdem ihre Mutter verhungert war; nur Cacao kam aus freien Stücken aus Brasilien, um in Deutschland Fußball zu spielen und schließlich Nationalspieler zu werden – eine Bilderbuchkarriere, wie sie sich nicht nur der kleine Ahmad aus dem Film erträumt. Eine einfache Kindheit hatte allerdings auch Cacao nicht, er wuchs in ärmsten Verhältnissen auf, der Vater war Alkoholiker.

Christ oder Muslim – ja und?

Sehr anrührend die Szene im Film, wie der Star Cacao mit dem Flüchtlingsjungen Ahmad und seinen Freunden auf dem Fußballplatz trainiert. So leicht kann Verständigung sein, so unkompliziert das Zusammenleben. So ging das früher auch in der bosnischen Stadt, aus der Leila kommt: Da waren Christen, Orthodoxe, Muslime, erinnert sich die junge Frau auf der Leinwand, aber bis zum Ausbruch des Krieges habe das keinerlei Rolle gespielt. „Hauptsache Mensch“, sagt sie, und es klingt so selbstverständlich, wie es sein sollte. Regisseurin Mieko Azuma erzählt nach dem Film, dass Leila das Interview häufig unterbrechen musste, weil die Erinnerungen so schmerzhaft waren.

„Warum wir hier sind“ ist ein sehr besonderer Beitrag zur Auseinandersetzung mit Flucht und Migration, der sich für Schülervorstellungen genauso eignet wie für Erwachsene. Er ist als Video on demand im Internet abzurufen.

https://warumichhierbin.de/

Erschienen in der InZeitung 32 / Herbst 2020, Seite 13

© Ulrike Schnellbach – Abdruck nur nach Rücksprache mit der Autorin

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