„Ich würde es wieder tun“

Tausende Flüchtlinge rettete die Organisation „Jugend rettet“ aus dem Mittelmeer, bis ihr Schiff Iuventa im August 2017 beschlagnahmt wurde. Gegen die Freiburgerin Zoe und neun weitere Crew-Mitglieder wird in Italien wegen „Beihilfe zur illegalen Einwanderung“ ermittelt. In Deutschland wurden sie im April 2020 mit dem Menschenrechtspreis von amnesty international ausgezeichnet. In ihrem Buch „Zoe heißt Leben“ berichtet die 23-Jährige über ihre Erfahrungen mit Leben und Tod.

Aufgezeichnet von Ulrike Schnellbach

"Wenn jemand Hilfe braucht, muss man helfen": Zoe Katharina "Wenn jemand Hilfe braucht, muss man helfen": Zoe Katharina – © Kai von Kotze

Ich habe mich nicht darum gerissen, so in der Öffentlichkeit zu stehen, ich muss mich dazu überwinden. Ich fahre lieber alleine Motorboot oder gehe segeln, das ist mein Ding. Aber ich habe es als Chance gesehen, als ich gefragt wurde, ob ich dieses Buch schreiben will. Man muss darauf aufmerksam machen, dass Tag für Tag Menschen auf dem Mittelmeer sterben und dass diejenigen, die helfen, kriminalisiert werden. Ich sehe das als Verpflichtung.

So war das auch mit meinem Einsatz auf der Iuventa im Sommer 2017. Ich bin mit der Lebenseinstellung aufgewachsen: Wenn jemand Hilfe braucht, muss man helfen. Und da waren diese Bilder von den Menschen, die im Mittelmeer ertrinken. Und ein Aufruf von „Jugend rettet“, die Leute für die Seenotrettung suchten. Ich machte gerade meine Ausbildung zur Bootsbauerin, und ich konnte Motorboot fahren. Es hat alles gepasst und ich wusste, dass es richtig ist. Also war ich in meinem Sommerurlaub 2017 zehn Tage lang vor der libyschen Küste im Einsatz. Angst hatte ich schon, vor allem wenn die sogenannte libysche Küstenwache auftauchte, da ist mir jedes Mal das Herz stehen geblieben, das sind ja eher Milizen. Aber solche Ängste stehen in keiner Relation zu dem, was die Menschen, die da auf dem Meer treiben, schon alles mitgemacht haben.

Wenn man aufhört, sterben Menschen

Bei unserem Einsatz haben wir mehr als 1300 Menschen gerettet, es war die vorletzte von 15 Missionen der Iuventa, kurz danach wurde sie beschlagnahmt. Wir konnten aber nicht alle retten, die wir entdeckt haben. An einem Tag haben wir 30 bis 40 Boote gesehen, manche mit bis zu 700 Menschen beladen. Es lagen Menschen tot in den Booten und vor unseren Augen sind Menschen ertrunken. Das sind Momente, in denen Verzweiflung aufkommt. Trotzdem funktioniert man und konzentriert sich auf die, denen man helfen kann. Irgendwie schützt man sich dadurch. Auch wenn ich vom Ausguck aus Wasserleichen entdeckt habe, bin ich sofort in Arbeit verfallen – anstatt ins Nachdenken. Natürlich waren wir manchmal erschöpft. Aber wenn man aufhört, sterben Menschen.

Woran ich mehr zu knabbern habe als an meinen Erlebnissen an sich, ist die Tatsache, dass da draußen weiterhin jeden Tag Menschen sterben und dass das verhindert werden könnte, aber nicht verhindert wird. Ich habe eine Art Weltschock, eine Welttherapie wäre nötig.

Im Alltag hat mich diese Erfahrung schon verändert. Zum Beispiel geht mir bei belanglosen Gesprächen irgendwann durch den Kopf: Es gibt doch Wichtigeres! Viele Leute sagen mir, dass sie es cool finden, was ich gemacht habe. Ich finde: Wenn man etwas gut findet, soll man es machen, nicht nur reden. Nicht dass ich mich als Vorbild sehe, eher als positiven Anstoß, etwas zu tun. Aber ich will niemandem etwas vorhalten oder vorschreiben.

Zoe "Wenn ich vom Ausguck aus Wasserleichen entdeckt habe, bin ich sofort in Arbeit verfallen." – © Iuventa10

15.000 Euro Geldstrafe – pro gerettete Person

Natürlich werde ich auch angefeindet, deshalb nenne ich in dem Buch meinen Nachnamen nicht. Bei Facebook liest man Sachen wie: „Du wirst von denen doch nur vergewaltigt“ oder „Du solltest selbst absaufen“. Ich habe mich abgemeldet. Aber es sagen mir auch Leute ins Gesicht, dass man die Flüchtlinge lieber ‚ersaufen‘ lassen sollte. Andere raunen: „Wir wissen ja nicht, was da unten wirklich gelaufen ist.“ Sie denken, dass wir vielleicht etwas Illegales gemacht haben. Haben wir nicht, wir haben nach den Menschenrechten und nach dem Seerecht gehandelt. Aber gegen uns wird wegen „Beihilfe zur illegalen Einwanderung“ ermittelt. Darauf stehen bis zu 20 Jahre Haft plus 15.000 Euro Geldstrafe – pro gerettete Person die illegal nach Italien eingereist ist. Das Wissen darum kann man nicht abschütteln, das ist immer da. Ich versuche mir einzureden, dass es nicht so weit kommen wird. Aber wenn wir schon Menschen vor unseren Grenzen sterben lassen, weiß ich nicht, was sonst noch alles passiert. Mein Vertrauen in den Rechtsstaat hat schon gelitten.

Eigentlich bin ich gegen private Seenotrettung. Das müsste der Staat machen. Vor allem müsste es legale Fluchtwege geben. Aber solange es die nicht gibt und keine staatliche Seenotrettung, würde ich immer wieder rausfahren. Es hat sich für jeden Einzelnen gelohnt, den wir gerettet haben.

Zoe Katharina: Zoe heißt Leben. Patmos Verlag, 2020
https://iuventa10.org/
https://jugendrettet.org/de/

Fotogalerie

Erschienen in Publik-Forum 11/2020

© Ulrike Schnellbach – Abdruck nur nach Rücksprache mit der Autorin

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