Wann ist ein Mann ein Mann?

Die moderne Frau braucht den „neuen Mann“, Söhne brauchen anwesende Väter – aber was will der Mann? Eine Veranstaltung über „Geschlechtergerechtigkeit aus Männersicht“

Von Ulrike Schnellbach

Es geht wieder einmal um die Frauen. Darum, wie sie Familie und Beruf unter einen Hut bekommen können. Mehr Krippenplätze für Kleinkinder sind jetzt beschlossen, und das ist gut so. Doch was wieder einmal fehlt in der Diskussion: die Männer. Wollen – oder sollen – Frauen Berufstätigkeit und Kinder besser vereinbaren können, so brauchen sie dazu nicht nur verlässliche Krippenplätze, sondern auch Partner, die ihren Teil der Verantwortung zu Hause übernehmen. Die mit dem kranken Kind zum Arzt gehen, die den Kindergeburtstag vorbereiten, die sich überlegen, wie auf die Wutausbrüche der Kleinen zu reagieren ist. Die aufräumen, Wäsche waschen und kochen – auch das.

Es ist ein altes Lied, das Ina Deter schon Anfang der 80er Jahre sang: „Neue Männer braucht das Land!“ Das Lied vom „neuen Mann“ wird jüngst in den Medien wieder viel besungen, vor allem von Frauen. Deshalb war es wohl auch kein Zufall, dass es eine Frau war, die sich bei der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Stuttgart eine Veranstaltungsreihe über Männer und Väter einfallen ließ – und dabei einen Perspektivwechsel vorschlug: „Geschlechtergerechtigkeit aus Männersicht“, so der etwas sperrige Titel einer Diskussion, mit der Moderatorin Christine Arbogast unlängst immerhin fast genauso viele Männer wie Frauen (zusammen knapp 40 Menschen) in die Katholische Akademie in Freiburg lockte.  

Was Frauen wollen, ist hinlänglich bekannt – nämlich alles, mindestens aber „die Hälfte des Himmels und der Erde“ (so eine alte Forderung der Frauenbewegung). Was aber will der Mann? Will er überhaupt ein „neuer Mann“ sein? Oder ist ihm die traditionelle Rollenaufteilung im Grunde lieber, nach der die Frau sich um das Heim und er sich um den Broterwerb kümmert? Fühlt er sich noch wohl in seiner Haut, oder ist er inzwischen das diskriminierte Wesen, das Gerechtigkeit einfordern muss?

Natürlich: „Den Mann gibt es nicht“, wie der Publizist Thomas Gesterkamp erst einmal klarstellte. Vielmehr gebe es – ein herrlicher Begriff – „viele Männlichkeiten.“ Auf der einen Seite hat Gesterkamp, der seit Jahren über das Thema „Mann und Beruf“ forscht, „die Krise der Kerle“ ausgemacht: Der Mann, vor allem der schlecht ausgebildete, gerate in Zeiten der Arbeitslosigkeit mit seiner einseitigen Orientierung aufs Erwerbsleben doppelt unter Druck: Er verliere mit der Arbeit seine Identifikationsmöglichkeit, und gleichzeitig verliere er an Wert auf dem Beziehungsmarkt. Schlecht qualifizierte Männer blieben dort, so Gesterkamp, tendenziell übrig (genauso wie besonders gut ausgebildete Frauen übrigens).

Männer haben’s schwer – aber nehmen sie’s noch leicht?

Neben der „Krise der Kerle“ sieht Gesterkamp jedoch unverändert die „hegemoniale Männlichkeit“: Männer sind nach wie vor in den Spitzenpositionen in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft praktisch unter sich. Diese Männer litten jedoch mehr als früher darunter, dass sie in ihren Familien Fremdlinge sind. Das Stichwort „work-life-balance“, die Vereinbarkeit von Arbeit und anderen Lebensinhalten, wird seit einiger Zeit auch aus Männersicht diskutiert.

Der Medizinsoziologe Michael Kasten sieht eine Benachteiligung von Männern und Jungen vor allem bei der Bildung und der Gesundheit. „In der Schule werden Jungs behandelt wie gestörte Mädchen, die nicht so gut lernen wie Mädchen“, kritisierte er. Für Männer gebe es weniger bezahlte Krebsvorsorge als für Frauen, es gibt keinen Männergesundheitsbericht auf Bundesebene, und die Lebenserwartung von Männern liegt bekanntlich sechs Jahre unter der der Frauen. Der Mann, das schwache Geschlecht, der Verlierer der gegenwärtigen Entwicklung?

„Männer haben’s schwer“, auch das wissen wir spätestens seit den frühen 80ern, als Herbert Grönemeyer es so sang. Aber nehmen sie’s noch leicht? Es gibt heftige Gegenwehr gegen den Ruf nach dem „neuen Mann“, unlängst beispielsweise zu lesen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Da hielt der Berliner Medienwissenschaftler Norbert Bolz, Vater von vier Kindern, ein flammendes Plädoyer für die alte Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau, die schlicht der Biologie entspreche und darüber hinaus für beide Seiten „mehr Profit“ bringe.

Außerdem, so Bolz, belohnten Frauen Männer nicht, wenn sie sich an der Kindererziehung und am Haushalt beteiligen, denn in Wirklichkeit begehrten Frauen dominante Männer: „Frauen mögen Männer, die karriereorientiert, fleißig und ehrgeizig sind.“ Offenbar hat der Professor nie von den Umfragen gelesen, nach denen Frauen ihre Männer für Mithilfe im Haushalt mit mehr Sex belohnen. Männer ihrerseits übrigens, ergab eine andere Umfrage, leisten umso mehr Hausarbeit, je zufriedener sie mit ihrer Partnerschaft sind. So beißt sich die Katze in den Schwanz.

Die Frauenbewegung hat der Männerbewegung einiges voraus

Wann ist ein Mann also ein Mann (Grönemeyer)? Natürlich gibt es noch die Männer der alten Schule, die glauben, es sei die Bestimmung der Frau, ihnen in ihrem harten Arbeitsleben den Rücken freizuhalten. Es finden sich ja auch die entsprechenden Positionen auf Frauenseite, etwa bei Eva Hermann („Das Eva-Prinzip“).

Aber es gibt auch immer mehr andere Männer. Männer, die Elternzeit nehmen. Männer, die Erziehungskurse besuchen. Oder den alten Herrn, der sich um seine Tochter sorgt, weil sie sich mit ihrem Mann für die traditionelle Rollenteilung entschieden hat: „Ob sie damit glücklich werden – ich bezweifle es. Und für die Kinder ist es auch nicht gut“ – überraschende Worte aus dem Mund eines 70-Jährigen.

Die Frauenbewegung hat der Männerbewegung einiges voraus, an Jahren und an Klarheit. „Männer haben es bis heute nicht geschafft, ihre Interessen für eine chancengleiche, partnerschaftliche Gesellschaft zu formulieren“, konstatierte auf dem FES-Podium Markus Theunert, Vertreter des schweizerischen Männerverbandes „maenner.ch“. Bislang hätten sie sich darauf beschränkt, auf die Forderungen der Frauenbewegung zu reagieren.

„Brauchen wir vielleicht eine männliche Alice Schwarzer?“, fragte ein Zuhörer etwas ratlos. Darüber kann man geteilter Ansicht sein, aber was ganz sicher fehlt, sind Rollenvorbilder für den „zukunftsorientierten Mann“ (Theunert). Wieder einmal könnte ein Blick über die Grenzen helfen: In Schweden nehmen 36 Prozent der Väter Elternzeit in Anspruch (in Deutschland waren es bislang unter fünf Prozent, jetzt steigen die Zahlen); sich als Mann um die Kinder zu kümmern, gehört dort sozusagen zum guten Ton.

Kinder könnten der entscheidende Impuls auch für deutsche Männer sein, ihre Rolle zu überdenken: Wenn nicht für ihre Partnerinnen, die Familie und Beruf vereinbaren wollen; wenn nicht für sich selbst, um mehr vom Leben zu haben als nur Erwerbsarbeit – so müssten Väter zumindest für ihre Söhne umsteuern. Denn nicht nur die großen „Kerle“ sind in der Krise, auch viele Jungs sind es. Schulversagen, Gewaltbereitschaft, Drogenmissbrauch – Probleme, die mehr Jungen als Mädchen betreffen, und die bei Söhnen autoritärer oder abwesender Väter besonders häufig auftauchen.

Jungs brauchen männliche Vorbilder, Söhne brauchen ihre Väter auch mal zu Hause. Worum geht es also? Es geht um Frauen, es geht um Männer, und es geht um die Kinder.

 

Erschienen in der Badischen Zeitung, 29.5.2007

© Ulrike Schnellbach – Abdruck nur nach Rücksprache mit der Autorin

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