Die „Omas“ auf der Bank

In Freiburg-Weingarten wird mittwochs zugehört – ein kleiner Beitrag zum demokratischen Zusammenleben

Die „Omas“ auf der Bank
Zugewandt: Claire Désenfant (rechts) im Gespräch
Fotos: Ulrike Schnellbach

Von Ulrike Schnellbach

Es ist ein warmer Herbstmorgen, Markttag in Freiburg-Weingarten, die Sonnenblumen leuchten dem Himmel entgegen, Zucchinis und Äpfel glänzen in ihren Kisten. Wie jeden Mittwochmorgen setzt sich Claire Désenfant auf eine Bank am Rand des kleinen Marktplatzes. Lächelt freundlich. Sie wartet auf Menschen, die ihr Herz ausschütten wollen. Gemeinsam mit Elisabeth (83) hat sie um 10 Uhr zwei Bänke mit Sitzpolstern bestückt, Sonnenschirme aufgespannt und ein Tischchen mit Infokarten und Keksen aufgestellt. Dazu die Tafel mit der Aufschrift „Omas Bank. Wollen Sie reden? Wir hören allen gerne zu.“

Die Idee kam Claire Désenfant, als sie in der Badischen Zeitung über eine ähnliche Initiative in Simbabwe las. Daraufhin startete die pensionierte Altenhilfe-Managerin im Sommer 2020 das Projekt in Weingarten. „Hier ist der Anteil an AfD-Wählern besonders hoch“, erklärt sie, warum sie das Hochhausviertel im Freiburger Westen ausgesucht haben. Studien zeigten, dass Menschen, die sich nicht gehört fühlen, besonders häufig AfD wählen. Dem möchten sie und ihre neun Mitstreiterinnen von den „Omas gegen Rechts“ etwas entgegensetzen. Jeden Mittwochmorgen leihen sie allen ein Ohr, die das möchten. „Wir wissen natürlich nicht, ob sich das Wahlverhalten dadurch ändert“, sagt Désenfant. „Aber wir sind freundlich, verströmen Optimismus und vermitteln das Gefühl, dass man die Zukunft gestalten kann.“ Während die AfD nur Angst und Opfermentalität zu bieten habe.

Vertraulich und kostenlos

„Guten Morgen“, ruft Elisabeth einem alten Mann zu, der mit einem Rollator an ihrer Bank vorbeispaziert. Er grüßt freundlich, setzt sich aber nicht dazu. Eine ältere Frau in knallroter Jacke indes steuert Claires Bank an. „Muss man hier bezahlen?“, möchte sie als erstes wissen, und dann: „Aber Sie erzählen nichts weiter?“ Claire verneint beides, woraufhin die Frau zu erzählen beginnt. Sie sei heute mit schwerem Herzen aufgewacht, mache sich Sorgen, wie es weitergehen solle mit ihr.  Gerade erst habe sie die Folgen eines Fahrradunfalls auskuriert, Reha und alles, jetzt das Theater mit den Augen, sie müsse in die Klinik, und ihre Tochter habe keine Zeit für sie. Claire sitzt ihr zugewandt, hört zu, fragt vorsichtig nach, hält auch mal eine Gesprächspause aus. Konstruktive, offene Fragen sind ihre Methode: „Welche Optionen sehen Sie?“ Es falle ihr schwer, um Hilfe zu bitten, berichtet die Frau. „Aber vielleicht rufe ich doch mal meine Freundin an.“

Das Gespräch an diesem Morgen ist für die Zeitung nachgestellt, die Frau in der roten Jacke gehört zu den „Omas“. Dennoch hat sie ihre eigene Situation geschildert, und am Ende ist sie selbst erstaunt, wie gut ihr das getan hat. „Im Moment des Hinsetzens fiel die Schwere der Nacht von mir ab“, sagt sie mit einem tiefen, erleichterten Seufzer. Jetzt fühle sie sich, als sei ein Knoten aufgegangen.

Die „Omas“ auf der Bank Die „Omas“ auf der Bank

Gespräche über Gott und die Welt

Etwa 70 solcher Gespräche führen die „Omas“ im Jahr. Mit jungen und alten Menschen, Deutschen und Nichtdeutschen, mehr Frauen als Männern. Mal dauert ein Gespräch nur zwei Minuten, mal auch eine Stunde. Manche Menschen kommen immer wieder, andere beobachten das Geschehen auf den beiden Bänken monatelang, bevor sie sich zu setzen wagen. Sie sprechen über Gott und die Welt, über ihre Familien und Lebensgeschichten, über Armut und Krankheiten, den Stadtteil und die große Politik, über Corona oder Einsamkeit. Ein kleines Mädchen erzählte von ihrem Goldfisch, der gestorben war. Eine Frau wollte sich einfach nur über einen Prospekt mit Sonderangeboten beraten.

Einmal im Monat tauschen sich die Zuhörerinnen über ihre Erfahrungen aus, denn es gibt auch schwierige Situationen, übergriffige Menschen zum Beispiel oder solche, die kein Ende finden. Aber fast immer verlassen sie Weingarten mit einem guten Gefühl. „Es ist eine Bereicherung, so viele andere Perspektiven kennenzulernen“, sagt Claire Désenfant. Elisabeth ist an diesem Morgen auf ihrer Bank alleine geblieben. Egal, sagt sie, so oder so gehe sie erfüllt nach Hause. Ohne Gespräch habe sie eben Zeit für sich, fast meditativ sei das. „Ich frage mich immer, wer mehr von diesem Projekt hat, die Gäste oder wir.“

Kontakt: omas-bank@posteo.de

 

 

Erschienen in Publik-Forum 21/2023

© Ulrike Schnellbach – Abdruck nur nach Rücksprache mit der Autorin

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