Klare Kante gegen Rassismus – und Solidarität mit den Opfern

Wer diskriminierende Äußerungen durchgehen lässt, signalisiert Zustimmung. Wer das nicht will, muss reagieren – aber wie?

Von Ulrike Schnellbach

In einer S-Bahn, Fahrkartenkontrolle. „Ich lasse mich doch nicht von einem Schwarzen kontrollieren!“, empört sich ein Fahrgast, „soweit kommt’s noch.“ Elke* und ihre Freundin schauen sich entsetzt an. Sagen aber nichts. „Wir waren einfach sprachlos“, erzählt die Mittfünfzigerin mit betretener Miene. Das habe sie noch lange geplagt, „ein ganz mieses Gefühl.“

Eine Gartenparty unter jungen Leuten. Annette geht an einem Tisch vorbei, an dem auch der Freund einer Freundin sitzt. „Und?“, fragt er beiläufig, „wie ist das so: als Neger durch die Welt zu laufen.“ Annette ist indischer Abstammung, wurde als Kind in Deutschland adoptiert. Erschrockene Stille am Tisch, nicht nur Annette bleibt die Spucke weg. Doch dann wird weitergefeiert, Schwamm drüber, war ja sicher nicht so gemeint. Schwamm drüber? Für Annette ist das keine Option. Die Szene hat noch eine lange Nachgeschichte, führt letztendlich sogar zum Bruch zwischen Annette und ihrer Freundin.

Sprachlosigkeit ist eine häufige Reaktion, wenn sich jemand diskriminierend oder rassistisch äußert. Eine der schlechtesten – denn Aussagen, die unwidersprochen bleiben, gelten als in Ordnung. Schlimmer noch, weiß die Psychologie: Ausbleibender Widerspruch wird als Zustimmung gewertet. Wie also reagieren, wenn man Zeuge oder Zeugin rechter Parolen wird?

Einfache Gegenparolen gibt es nicht

Zunächst ist Einsicht in die eigene Lage wichtig. Wer selbst beleidigt wird oder eine beleidigende Äußerung hört, ist erst einmal in der Defensive, er oder sie muss dagegenhalten. Darüber hinaus sind Parolen wie „Ausländer sind kriminell“ oder „Flüchtlinge nutzen unseren Sozialstaat aus“ pauschal und vereinfachend. Die richtigen Antworten darauf sind jedoch differenziert und oft komplex. Glaubwürdige Gegenparolen kann es deshalb nicht geben. Ebenso wenig gibt es die eine richtige Reaktion. Es kommt nämlich ganz drauf an.

Zum einen kommt es darauf an, mit wem man es zu tun hat. Ist derjenige (oder diejenige), der eine feindselige Äußerung von sich gibt, ein überzeugter Rechter? Jemand, der Toleranz und Vielfalt ablehnt, unsere demokratische Gesellschaftsordnung bewusst in Frage stellt oder zerstören will? Dann werden wir ihn kaum erreichen, schon gar nicht umstimmen, egal wie wir antworten. Erreichen können wir aber möglicherweise die umstehenden Mithörenden (oder im Internet Mitlesenden). Und natürlich die Opfer der beleidigenden Äußerung – den dunkelhäutigen Fahrkartenkontrolleur in der S-Bahn oder die Freundin mit indischen Wurzeln –, mit denen wir uns solidarisch zeigen. Das ist wichtig. Denn für die attackierte Person ist es noch viel schwieriger, die richtigen Worte zu finden, als für Unbehelligte, die nur Zeugen des Vorfalls sind.

„Wovor hast du Angst?“

Elke hätte in der S-Bahn zum Beispiel laut und deutlich sagen können: „Das ist rassistisch. Damit bin ich nicht einverstanden.“ Am besten hätte sie sich dafür Verbündete gesucht – durch Blickkontakt mit anderen Fahrgästen oder durch einen Satz wie: „Finden Sie das nicht auch?“ Bei der Party hätte eine schlagfertige Person an Annettes Stelle antworten können: „Und, wie ist es so: als Rassist durch die Welt zu gehen?“ Das Band der Freundschaft wäre damit allerdings höchstwahrscheinlich zerschnitten. Dazu später mehr.   

Handelt es sich nicht um einen überzeugten Rechten, sondern um eine Person, die verunsichert oder überfordert ist, sich zu kurz gekommen fühlt oder wirklich Angst hat (und nicht nur ihren Hass als Angst ausgibt)? In diesem Fall können wir versuchen herauszufinden, welches Anliegen sich hinter einer aggressiven Äußerung verbirgt. Wenn beispielsweise Tante Erna bei der Familienfeier sagt: „Man traut sich ja nicht mehr auf die Straße…“, könnten wir sie fragen: „Wovor hast du denn Angst? Was ist dir passiert?“ Vielleicht kommen wir so in ein echtes Gespräch über eine berechtigte Sorge und können möglicherweise sogar gemeinsam nach einer Lösung suchen: „Nächstes Mal hole ich dich ab und wir gehen zusammen in den Park.“  

Die rote Linie aufzeigen…

Zum zweiten kommt es darauf an, was wir mit unserer Antwort erreichen wollen: Gegenüber Hass, Hetze, Rassismus und Diskriminierung wollen wir uns vermutlich schlicht abgrenzen. Wer beispielsweise gegen die Beleidigung des Fahrkartenkontrolleurs in der S-Bahn einschreitet, tritt damit für demokratische Werte und Menschenwürde ein. Das tut auch die schlagfertige Person auf der Gartenparty, die den Aggressor einen Rassisten nennt. Wenn es uns aber darum geht, einen Menschen zum Nachdenken zu bringen oder gar umzustimmen, dann empfiehlt es sich nicht, ihn als Rassisten zu bezeichnen. Man könnte stattdessen nachfragen. „Was ist eigentlich in dich gefahren, Annette so zu beleidigen?“

Auch bei Vorurteilen und (Falsch-)Behauptungen ist Nachfragen eine angebrachte Reaktion. „Ausländer sind krimineller als Deutsche.“ – „Woher wissen Sie das? Welche Ausländer meinen Sie genau?“ So lassen wir das Gegenüber nicht mit pauschalen Behauptungen davonkommen, sondern zwingen es, seine Aussagen zu konkretisieren und zu belegen. Bestenfalls treten dabei Ungereimtheiten an den Tag, die nachdenklich stimmen.

…oder einen gemeinsamen Nenner finden

Wenn einer pauschalen Anschuldigung berechtigte Sorgen zugrunde liegen, ist es auch eine Möglichkeit, Verständnis zu zeigen – die Pauschalisierung jedoch abzulehnen. „Da haben wieder Syrer eine deutsche Frau vergewaltigt, es ist immer dasselbe...“ – „Jede Vergewaltigung ist furchtbar. Aber die meisten Geflüchteten sind anständige Menschen, so wie die meisten Einheimischen…“ Oder man fragt nach den Konsequenzen. „Wie sollen wir also auf solche Verbrechen reagieren? Was könnte man tun, um vorzubeugen?“ Es sind übrigens zu einem großen Teil junge Männer, die straffällig werden – ob zugewandert oder einheimisch; erst recht, wenn sie keine Familie haben. Das wäre ein Ansatzpunkt, sich darauf zu verständigen, dass Familiennachzug vielleicht eine gute Idee ist. So kann man mit Menschen, die bereit sind nachzudenken, möglicherweise einen kleinen gemeinsamen Nenner finden.

Empfehlenswert ist in jedem Fall, die eigenen – positiven – Werte herauszustellen. „Seenotretter sind Schlepper“, bekommen etwa Engagierte der ‚Seebrücke‘ entgegengeschleudert. Passende Antwort: „Wir retten Menschenleben.“ Migranten nutzen unseren Sozialstaat aus? „Der Ukrainerin, die meine Mutter pflegt, bin ich unendlich dankbar. Ohne sie würde bei uns alles zusammenbrechen.“ Wenn Menschen sich abwertend über andere Kulturen äußern, kann auch eine überraschende Antwort zu einer Gesprächswendung führen: „Magst du Paprika? Wusstest du, dass die von Flüchtlingen bei uns eingeführt wurden?“

„Wir sind das Volk!“ – Wir sind mehr!

Übrigens: Zur Einsicht in die eigene Lage gehört nicht nur, dass es schwierig ist zu reagieren. Dazu gehört auch: Demokratinnen und Demokraten sind in diesem Land in der Mehrheit – auch wenn es sich manchmal anders anfühlt. Wenn Rassisten behaupten: „Wir sind das Volk“, dann ist das Quatsch. Sie sind ein kleiner Teil des Volkes. Vier Fünftel aller Deutschen sind nicht fremdenfeindlich eingestellt, wie die „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung 2019 ergab. 83 Prozent der Befragten sagten außerdem: „Ich finde es gut, wenn sich Menschen gegen die Hetze gegen Minderheiten einsetzen.“

Immer mehr Menschen tun das auch aktiv, in den sozialen Netzwerken, im Freundeskreis, in der S-Bahn oder im Supermarkt. Als Daniela – dunkle Haut, akzentfreies Deutsch – neulich an der Supermarktkasse von einem anderen Kunden aus heiterem Himmel gefragt wurde: „Woher kommen Sie?“, war sie so irritiert, dass ihr keine passende Antwort einfiel. Dem Kassierer aber schon. Er fragte den übergriffigen Kunden ganz einfach: „Und Sie, woher kommen Sie?“

*alle Namen geändert

Ulrike Schnellbach leitet Seminare zum journalistischen Umgang mit Rechtspopulismus und Rechtsextremismus und Argumentationstrainings gegen rechte Parolen, etwa für die Friedrich-Ebert- und die Heinrich-Böll-Stiftung sowie die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg.

Erschienen in Publik-Forum 13/2020

© Ulrike Schnellbach – Abdruck nur nach Rücksprache mit der Autorin

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