Sie kommen, wenn sie sich willkommen fühlen

Die Kita als Anlaufstelle für Familien mit Migrationshintergrund – ein Beispiel aus Freiburg im Breisgau

Von Ulrike Schnellbach

Kita in Freiburg im Breisgau Es braucht nicht viel Geld, um sich mit Kindern sinnvoll zu beschäftigen: Familiennachmittag in der Kita Krozinger Straße – Foto: AWO Freiburg

Freiburgs sozialer Brennpunkt heißt Weingarten: Eine Hochhaussiedlung mit Sozialwohnungen, in denen überwiegend Ausländer, Aussiedler und Sinti leben, viele Alleinerziehende und Arbeitslose. Inmitten der Hochhäuser, auf dem Dach eines ebenerdigen Parkdecks, die Kita Krozinger Straße: ein sanierungsbedürftiger blassgrüner Quaderbau mit einem bescheidenen eingezäunten Spielgelände davor, ringsherum Beton. Optisch wenig einladend, zumal die Kita derzeit eine Baustelle ist: Der Eingangsbereich wird zur Familien-Anlaufstelle umgebaut – was die Kita in Wirklichkeit seit langem ist.

Regina Kopp, die Leiterin, muss keine besonderen Anstrengungen unternehmen, damit die Kinder aus den umliegenden Wohnblocks den Weg in die Kita finden. „Es spricht sich herum, dass die Familien mit Migrationshintergrund bei uns willkommen sind“, sagt die fröhliche Mittvierzigerin. Von den 107 Kindern in der Kita haben gerade mal elf Deutsch als Muttersprache. „Wir integrieren hier eher die deutschen Kinder als umgekehrt“, sagt Regina Kopp und lacht herzlich.

Die Leiterin ist sich der Bedeutung bewusst, die ihre Einrichtung für die Migrantenfamilien hat. Das A und O sei, „dass sie sich willkommen fühlen“. Deshalb achtet Kopp schon in Vorstellungsgesprächen darauf, dass ihre Erzieherinnen offen für fremde Kulturen sind. „Hier hat niemand Berührungsängste gegenüber verschleierten Frauen, und wenn jemand wenig Deutsch spricht, wird er deshalb nicht abgewertet.“  

Rücksicht auf andere Kulturen – aber keine falsch verstandene!

Vor allem die arabischen Familien aus Weingarten fühlen sich offenbar in Kopps Kita gut aufgehoben. Dabei erleichtert es ihnen vermutlich den Zugang, dass die Arbeiterwohlfahrt kein kirchlicher Träger ist. „Wir nehmen Rücksicht auf andere Kulturen“, sagt Kopp. Beim Mittagstisch gibt es generell kein Schweinefleisch. Und im Ramadan werden keine Elternabende angeboten.

Allerdings hält die energische Chefin gar nichts davon, aus falsch verstandener Rücksicht deutsche Gebräuche zu vernachlässigen. Als sie vor neun Jahren die Leitung übernahm, erzählt sie, hätten die Mitarbeiter eines Morgens ganz zaghaft gefragt, ob man wohl einen Weihnachtsbaum aufstellen dürfe. „Nach dem Motto: den Ausländern bloß nichts Deutsches zumuten – so ein Quatsch!“ Genauso selbstverständlich wie ein Tannenbaum im Advent ist es für Kopp, dass sie arabischen Männern einen respektvollen Umgang mit Frauen abverlangt.

Die Sprachenvielfalt sehen die Erzieherinnen positiv. Selbstverständlich dürfen sich die Kinder aus derselben Nation in ihrer Heimatsprache verständigen, und die Eltern werden ermutigt, ihre Sprache zuhause zu pflegen. Ganz nebenbei lernen in der Kita deutsche Kinder auch ein paar Brocken türkisch oder italienisch. Dennoch legt Regina Kopp großen Wert auf deutsche Sprachkompetenz. So gibt es in der Kita nicht nur verstärkte Sprachförderung für die Kinder, sondern auch Deutschkurse für Mütter – Kinderbetreuung inklusive.

Kita in Freiburg im Breisgau Kochkurs in der Kita: mal Kürbissuppe, mal Couscous – Foto: AWO Freiburg

Familien-Nachmittage und gemeinsame Ausflüge

Trotzdem gelingt es nicht, dass alle Kinder mit sechs Jahren dieselbe Sprachkompetenz wie durchschnittliche deutsche Kinder haben. „Aber das schaffen wir auch bei unseren deutschen Kindern nur bedingt“, gibt Kopp zu bedenken, denn viele kämen mit einer Sprachentwicklungsstörung in den Kindergarten.

Der Austausch mit den ausländischen Eltern läuft vornehmlich über Einzelgespräche, wenn nötig mit Dolmetscher. Eine große Hilfe ist dabei die russische Erzieherin, die für viele Familien aus dem Osten eine Brückenfunktion hat. Daneben gibt es eine Kollegin aus Polen und eine aus Portugal – insgesamt aber zu wenige mit eigenem Migrationsintergrund, wie Kopp bedauert. „Die suchen wir händeringend – aber es gibt einfach zu wenig Bewerbungen.“

Wichtiger als Gespräche mit den Eltern ist für Kopp praktisches gemeinsames Handeln. So sollen Eltern in der Kita präsent sein und werden zu gemeinsamen Ausflügen auch am Wochenende eingeladen. Bei Familien-Nachmittagen wird mit Eltern und Kindern „Schiffe versenken“ gespielt, es werden Seifenblasen hergestellt oder Raketen mit Backpulver gezündet. Die Botschaft dahinter: Man braucht nicht viel Geld, um sich sinnvoll mit Kindern zu beschäftigen.

„Wir verstehen uns als Anlaufstelle für ganz vieles“

Interessant hat sich die Idee eines Kochkurses entwickelt: Der Ansatz war, den Migranten etwas über gesunde Ernährung beizubringen, erzählt Regina Kopp. „Aber wir haben schnell festgestellt, dass diese Menschen super kochen können, sie sind Meister darin, aus Resten tolle Gerichte zu zaubern.“ So entstand ein multikultureller Rezepte-Austausch, bei dem alle etwas lernen. An solchen Beispielen zeigt sich konkret, was Regina Kopp mit dem schönen Satz meint: „Integration ist gegenseitiges Schenken und Beschenkt-Werden.“  

„Unsere Arbeit ist ganz stark Beziehungsarbeit“, bilanziert Kopp und ist sich bewusst: „Wir leisten hier Tätigkeiten, die weit über unser eigentliches Arbeitsfeld hinausgehen: psychosoziale Beratung, Hilfe mit dem Arbeitsamt, Kleidersammlung für bedürftige Kinder, Krisenmanagement… Wir verstehen uns als Anlaufstelle für ganz vieles.“

Seit vergangenem Jahr unterstützt die Stadt Freiburg solche Arbeit mit zusätzlichen Haushaltsmitteln. Sie hat nicht nur 400.000 € jährlich für Sprachförderung in allen Kitas zur Verfügung gestellt, sie bewilligt auch eine halbe Stunde Extraförderung pro Woche für jedes bedürftige Kind – das hat der Kita Krozinger Straße eine ganze zusätzliche Stelle beschert.

„Wohin sollen wir die Kinder integrieren?“

Alles gut also, wenn eine Kita so arbeitet wie diese? Für den zuständigen Abteilungsleiter bei der AWO, Rainer Liuthardt, bleibt ein gravierendes Problem: „Wir erreichen diese Familien zwar – aber wohin sollen wir sie integrieren, wenn in manchen Gruppen der Migrantenanteil bei hundert Prozent liegt?“ So habe sich die Kita Krozinger Straße einen guten Ruf als „Ausländer-Kita“ erworben. Doch deutsche Eltern schicken ihre Kinder kaum hier hin.

300 Meter Luftlinie entfernt betreibt die AWO einen weiteren Kindergarten – den überwiegend deutsche Kinder besuchen und solche aus gut integrierten, oftmals binationalen Familien. „Wie bekomme ich da eine Mischung hin?“, fragt sich Luithardt. Biete man den Eltern bei der Anmeldung einen Platz im jeweils anderen Kindergarten an, sei die Reaktion bei beiden Gruppen oft dieselbe: Sie warten lieber, bis in ihrer Wunsch-Kita ein Platz frei wird. So bleiben die Milieus fein unter sich –Integration ist etwas anderes.

 

Erschienen in der Badischen Zeitung am 2. 6. 2010 und in Publik-Forum 18/2010

 

© Ulrike Schnellbach – Abdruck nur nach Rücksprache mit der Autorin

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