„Griff in die Mottenkiste“

In Osteuropa grenzen sich Parteien und Kirchen zu wenig gegen Rechtsextremismus ab, konstatiert der Politologe Michael Minkenberg. Er sieht beträchtlichen Schaden für die Demokratie und fordert ein gesamteuropäisches Vorgehen.

Michael Minkenberg – Foto privat  Michael Minkenberg – Foto privat

Extrem rechte Parteien und Bewegungen sind in vielen Ländern Europas auf dem Vormarsch. Wie groß schätzen Sie die Gefahr für die Demokratie ein?

Eine Gefahr geht auf jeden Fall von Gruppierungen aus, die ihre politischen Vorstellungen gegen alle, die sich nicht anschließen, mit Gewalt durchzusetzen versuchen – bis hin zu Mord, Beispiel NSU. Da ist der Schaden immens, nicht nur bei den unmittelbar betroffenen Opfern und ihrem Umfeld. Auch bei den Ermittlungsbehörden, die sich als unfähig gezeigt haben, die Verbrechen vorurteilsfrei aufzuklären. Der Staat hat hier viel Vertrauen verschleudert.

Wie gefährlich sind rechtsextreme Parteien?

Die rechtsradikalen Parteien – dazu zähle ich rechtsextreme und rechtspopulistische – schaden vor allem dadurch, dass sie politische Akzente setzen und den Mainstream herausfordern, sich dazu zu verhalten. Man kann das am Beispiel des Begriffs „Ethnopluralismus“ sehen. Das Konzept kommt aus der intellektuellen neurechten Bewegung der 70er-Jahre. Es legt nicht mehr den biologistischen Rassismus zugrunde, um die ethnischen Gruppen zu markieren. Es geht auch nicht mehr von wertvolleren und weniger wertvollen Rassen aus. Aber es fordert, dass die Rassen sich möglichst nicht mischen. Das ist defensiver Nationalismus.

…im Sinne von: Ich habe nichts gegen Ausländer, solange sie in ihren Ländern bleiben…

Genau. Ausländer dürfen allenfalls vorübergehend kommen als Gastarbeiter, sollen sich aber nicht integrieren. Als das Konzept des „Ethnopluralismus“ formuliert wurde, galt es als rechtsaußen, inzwischen ist es im Mainstream angekommen und wird immer mehr diskutiert.

Wie gut funktioniert es, wenn etablierte Parteien einen Teil der rechten Argumente übernehmen, um die Rechtsextremen überflüssig zu machen?

Das ist ein sehr zweischneidiges Schwert. Es funktioniert kurzfristig, wie etwa bei Nicolas Sarkozy und dem Front National im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2007, oder in Österreich und Dänemark bei den Koalitionen mit rechtsradikalen Parteien. Kurzfristig wird denen so der Wind aus den Segeln genommen. Das Problem entsteht, wenn sich bei den etablierten konservativen Parteien eine Glaubwürdigkeitslücke auftut – etwa durch Skandale oder Versagen in anderen Politikbereichen. Dann werden automatisch diese kleinen Partner oder Alternativen von rechtsaußen aufgewertet und können stark profitieren – wie in Frankreich der Front National. Die Umarmungsstrategie ist also nur erfolgreich, solange die etablierten Parteien glaubwürdig bleiben.

Eine andere Strategie der traditionellen Parteien ist es, sich mit einer Art Cordon sanitaire, einer Pufferzone, von den rechtsradikalen Parteien abzugrenzen. Würden Sie das empfehlen?

Das würde ich immer empfehlen, wenn solche Parteien sich bilden. Man darf ihnen aber nicht komplett die Legitimation absprechen und sie als politisch nicht ernst zu nehmende Spinner abtun. Anstatt sie nur zu dämonisieren, muss man den Wählerinnen und Wählern immer wieder zeigen, dass diese Parteien keine sinnvollen Konzepte haben. Dann wird es auch viel glaubwürdiger, dass man nicht mit ihnen redet: Warum soll ich mit jemandem reden, der nichts anzubieten hat?

Wie unterscheiden sich rechtsextreme Parteien in Ost- und Westeuropa?

Gemeinsam ist allen ein ultranationalistisches Weltbild. Aber rechtsextreme Parteien in Osteuropa sind viel stärker rückwärts gewandt als die in Westeuropa. Sie verherrlichen zum Teil faschistische Regime der Vergangenheit und übernehmen deren Symbole. In Westeuropa ist dieser Rückgriff in die Mottenkiste inzwischen weitgehend passé.
Dazu kommt, dass es in Osteuropa keine klare Unterscheidung gibt zwischen dem, was okay ist und was nicht okay ist, zwischen legitimen und weniger legitimen Parteien – also keinen Cordon sanitaire. So können rechtsradikale Parteien, wenn die Umstände günstig sind, ein relativ großes Wählerreservoir abschöpfen.

Wie kommt das?

Das liegt daran, dass eine nationale Bewegung, die mit dem Umbruch von 1989 und dem Abschütteln der Fremdherrschaft durch die Sowjetunion gerade im Aufblühen war, gleich wieder eingezäumt wurde in Richtung EU-Integration. So wurde einem urwüchsigen Nationalismus erst einmal das Wasser abgegraben. Dann mischte sich die institutionelle Modernisierung mit der Rückkehr eines klassischen nationalistischen Denkens im Mainstream, das sich ja bis 1989 nicht hatte artikulieren können. Deswegen sind heute die Grenzen zwischen dem Mainstream und den rechtsradikalen Parteien in Osteuropa viel fließender als in Westeuropa.

Welche Position nehmen die Kirchen gegenüber rechtsextremen Parteien ein?

Auch da sehe ich einen Ost-West-Gegensatz. In Westeuropa positionieren sich die Kirchen relativ eindeutig gegen Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit. Wir sehen das gerade wieder am Kirchenasyl: Damit fordert die Kirche sogar den Staat mit einem Rechtsbruch heraus, das ist eine klare Haltung. In Osteuropa sind in den Kirchen noch stärker illiberale Strömungen anzutreffen.

Hat das historische Gründe?

Ja. Es ist ja auch so, dass in der Zwischenkriegszeit fast alle katholischen Länder eine faschistische oder rechtsautoritäre Regierung hatten, fast alle protestantischen Länder dagegen eine Demokratie. Ich will nicht sagen, dass Protestanten immun wären gegen Fremdenfeindlichkeit, aber es ist ziemlich deutlich, dass die katholische Kirche ein Problem mit der Demokratie hatte. Das wurde erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 – 65) überwunden. Die damit angestoßene Reform konnte aber in Osteuropa nicht in die Praxis umgesetzt werden, denn dort  befanden sich die katholischen Kirchen in einem diktatorischen Zusammenhang.

Wie wirkt sich das heute aus?

In Polen hat sich die ultranationalistische Bewegung „Radio Maria“ von der Amtskirche abgespalten und fährt eine komplett antiliberale Linie, kombiniert mit Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus. Radio Maria wirkt in die Parteien hinein, bis ins Parlament. Auch bei den orthodoxen Kirchen etwa in Griechenland, Bulgarien und Rumänien existieren völlig illiberale Strukturen und der Nationalismus ist sehr tief verankert. In Rumänien hat die orthodoxe Kirche fast schon die Rolle übernommen, die rechtsradikale Gruppen in anderen Ländern einnehmen.

In Deutschland verliert die rechtsextreme NPD an Bedeutung, gleichzeitig feiert die Alternative für Deutschland (AfD) Erfolge. Wie hängt das zusammen?

Nicht ursächlich, nur zeitlich. Es ist ja nicht so, dass sich die NPD-Wähler enttäuscht abwenden und AfD wählen, zumal das Wählerreservoir der NPD viel kleiner ist als das der AfD. Die AfD hat solchen Zulauf, weil offenbar immer mehr Menschen unzufrieden sind mit der Politik der großen Parteien.

Würden Sie die AfD als rechtspopulistisch bezeichnen?

Ich würde sie noch nicht so bezeichnen, auch wenn sie solche Tendenzen hat. Es ist eine Frage der Zeit, wie lange das gut geht mit einem wirtschaftsliberalen Flügel, der auf Arbeitsmigration setzen müsste, und einem fremdenfeindlichen Flügel, der Zuwanderung ablehnt. Man muss abwarten, welche Strömung sich durchsetzt.

Was kann wirkungsvoll gegen Rechtsextremismus getan werden?

Ein Rezept gibt es nicht. Es gibt natürlich klare historische Gründe, warum man in Deutschland die Antennen besonders weit ausfährt. Trotzdem sollte man manche Phänomene nicht zu hoch hängen, etwa Pegida. Man sollte überlegen, welche Aufmerksamkeit dafür angemessen ist. Die Medien haben hier mit ihrer Berichterstattung maßlos überzogen und Pegida damit erst so richtig groß gemacht. Außerdem sollte man nuanciert reagieren und die Nebenwirkungen mit bedenken. In Deutschland wird zum Beispiel gerne verboten. Man muss sich fragen, ob das in jedem Fall nötig und sinnvoll ist.

Und auf der europäischen Ebene?

Wichtig wäre ein europaweiter Austausch über die Strategien gegen Rechtsradikalismus, und zwar nicht nur der Politiker, auch von Medienvertretern, Schülergruppen und anderen Teilen der Gesellschaft. So könnte man voneinander lernen, es entstünde eine europaweite Öffentlichkeit und die Zivilgesellschaft würde gestärkt. 

Das Gespräch führte Ulrike Schnellbach

Professor Michael Minkenberg (56) ist Politologe an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Seine Forschungsschwerpunkte sind Rechtsradikalismus sowie das Verhältnis von Religion und Politik.

Erschienen in Publik-Forum 6/2015

© Ulrike Schnellbach – Abdruck nur nach Rücksprache mit der Autorin

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