„Wir dürfen den Klimaschutz nicht von der Menschenwürde abkoppeln“

Der Soziologe Matthias Quent geht den rassistischen Anteilen der Klimakrise auf den Grund und analysiert, wie die extreme Rechte das Thema instrumentalisiert

Eric Breitinger
„Die extreme Rechte missbraucht vorgeblichen Klimaschutz für eine reaktionär-faschistische Agenda“: Matthias Quent
Foto: Sio Motion

Herr Quent, Sie sind als Rechtsextremismusforscher bekannt. Wie kommt es, dass Sie sich nun mit der Klimakrise beschäftigen?

Matthias Quent: Klimafragen bekommen bei rechtsextremen Akteuren – von der AfD in den Parlamenten bis hin zu Rechtsterroristen – eine immer stärkere Bedeutung. Denn der Rechtsextremismus reagiert immer auf Konflikte in der Mitte der Gesellschaft. Den Rechtsextremismus macht aus, dass er globale Ungleichheiten verteidigt, Veränderungen ablehnt und Aufklärung und moderne Wissenschaft ablehnt. All das hängt eng mit der Klimafrage zusammen.

Die AfD und andere extrem rechte Kräfte leugnen den menschengemachten Klimawandel. Wird der Kampf gegen Klimaschutzmaßnahmen das nächste große Agitationsthema der Rechten?

Quent: Tatsächlich ist die Klimafrage bereits ein Hauptagitationsfeld der äußersten Rechten. Das haben wir schon während Corona gesehen, als behauptet wurde, der Corona-Lockdown sei nur die Generalprobe für einen »Klimalockdown« und die Einführung einer sozialistischen »Ökodiktatur«. Das Klimathema ist aber darüber hinaus ein Querschnittsthema mit vielen Andockpunkten, für soziale Fragen ebenso wie für Migration.

Wie meinen Sie das?

Quent: Viele Forschende und auch die Weltbank weisen darauf hin, dass in den kommenden Jahrzehnten mit Millionen sogenannter Klimaflüchtlinge zu rechnen ist. Schon heute müssen Menschen ihre Heimat wegen Extremwetterlagen verlassen. Wie der globale Norden damit umgeht, dass die überwiegend von ihm produzierten Emissionen vor allem im globalen Süden Lebenswelten und Lebensgrundlagen zerstören, ist eine zentrale Frage für Menschenrechte und für globale Migrationsbewegungen. Dass mit der Klimakatastrophe neue Migrationsbewegungen einhergehen werden, ist ein Angstszenario, das von Rechten gern instrumentalisiert wird – und das ist nur eine der Brücken zwischen dem Rechtsextremismus und der Klimakrise. Die hegemonialen rechten Antworten lauten: „Weiter so mit der globalen Ausbeutung und mehr nationale Abschottung“.

Der globale Süden wird unter den Folgen der Klimakrise stärker leiden als der Norden – ist das mit dem »Klimarassismus« gemeint, von dem Sie sprechen?

Quent: Das ist der strukturell rassistische Aspekt: In einer Kontinuität von industriellen und kolonialistischen Lebensformen setzt sich eine globale Ungleichheit fort, in der Lebenschancen durch unsere Art zu wirtschaften und zu leben höchst ungleich verteilt sind. Das lässt sich auf die ungerechte Formel bringen: Diejenigen, die am wenigsten für den Klimawandel verantwortlich sind, leiden am meisten darunter. BIPoC tragen weniger Verantwortung als Weiße und sind stärker betroffen. Reiche verursachen mehr Emissionen, während sich Ärmere schlechter schützen können. Die Rechten radikalisieren diese strukturellen Ungerechtigkeiten. Das gilt nicht nur für die globale, sondern auch für die nationale Ebene.

Inwiefern?

Quent: In Berlin ist beispielsweise die Wärmebelastung in verdichteten Innenstadtgebieten, in denen viele Menschen aus Einwanderungsfamilien leben, besonders hoch. In vielen Städten ist die Luftqualität dort besonders schlecht, wo vor allem ärmere Menschen leben. Die können sich auch weniger gegen Extremwetter schützen und werden durch mögliche Zusatzkosten, etwa bei der Energieversorgung, besonders belastet. Schon heute leiden vor allem ältere Menschen unter den immer häufiger auftretenden Hitzetagen. In Deutschland wirkt die Debatte mitunter, als sei die Klimakrise vor allem ein technisches Problem für Ingenieure. Die massiven sozialen Aspekte der Ursachen und Folgen der Erderhitzung werden häufig ausgeblendet. Ähnlich wie in der Coronakrise spielt die soziale Dimension der Klimakrise in der deutschen Diskussion noch eine viel zu kleine Rolle, obwohl sie gut nachweisbar ist.

Bei den Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen hat sich die Szene der Corona-Leugner vermischt mit den Leugnern der Klimakrise. Was verbindet diese beiden Themen?

Quent: In beiden Fällen handelt es sich um globale Problemlagen, die konkrete Auswirkungen auf die eigene Lebensführung haben. Diese werden als Einschränkungen individueller Freiheiten wahrgenommen und sind es ja auch. Das verbindende Narrativ ist das einer exklusiven Freiheit. Dabei geht es nicht nur um eine liberale, persönliche Freiheit, sondern um die Freiheit, sich sozialer Verantwortung zu entziehen und auf Kosten anderer zu leben. Bei Corona, indem man auf Masken verzichtet, sich auch aus egoistisch-ideologischen Motiven nicht impfen lässt und sich nicht mit den Schwächeren solidarisiert. Strukturanalog in der Klimafrage: Wenn wir nicht stark betroffen sind, dann müssen wir uns auch nicht solidarisieren und nicht verändern, sondern können uns aggressiv abgrenzen gegenüber denjenigen, die besonders hilfsbedürftig sind oder sich für faire Verantwortungsübernahme einsetzen, wie die Klimagerechtigkeitsbewegung.

Dann geht es in beiden Fällen im Grunde um die Verweigerung der Solidarität gegenüber besonders gefährdeten Gruppen?

Quent: Ja, mit besonders vulnerablen und in der Regel bereits historisch rassistisch, sexistisch und klassistisch benachteiligten Gruppen. Die Verweigerung der Solidarität geschieht häufig durch aggressive Abwehr eigener Verantwortung – bis weit in die Gesellschaft hinein. Rechte, und zwar keineswegs nur radikale, stellen die nationale oder die individuelle Freiheit über das, was an kollektiver Verantwortung in Zeiten globaler Krisen gefordert ist.

Es gibt auch rechtsextreme Kräfte, die sich Umweltschutz auf ihre Fahnen schreiben, etwa die neurechte Zeitschrift »Die Kehre« oder die Partei Der Dritte Weg. Was steckt dahinter?

Quent: Die sogenannte Neue Rechte und der völkische Nationalismus bedienen alte, schon im Nationalsozialismus genutzte Narrative des Umwelt- und Heimatschutzes, nach denen Blut und Boden untrennbar miteinander verbunden sind. In diesen ökofaschistischen Netzwerken leugnet man den Klimawandel nicht, sondern schiebt die Verantwortung beispielsweise einem vermeintlichen »Bevölkerungsüberschuss« im globalen Süden zu. Das geht bis hin zur Forderung nach massiven Bevölkerungsreduktionen, der Vernichtung ganzer Bevölkerungsgruppen – angeblich, um das Klima zu retten. So ähnlich hat auch der Attentäter von Christchurch argumentiert, der 2019 in Neuseeland 52 Muslima und Muslime ermordete. Das ist eine zweite Dimension des Begriffs »Klimarassismus«: Es werden Sündenböcke konstruiert.

Zugleich propagieren manche Rechtsextreme ein Leben auf dem Land im Einklang mit der Natur. Was ist dagegen einzuwenden?

Quent: Diese ökofaschistische Agitation fügt sich ein in andere kulturpessimistische, antimoderne Muster, die mit der Industrialisierung, der Urbanisierung, der Globalisierung den Niedergang der angeblich natürlichen Ungleichheit verbinden. Dahinter steckt auch der Versuch, von der schlichten Leugnung des Klimawandels wegzukommen, weil die Unterstützung dafür in der Bevölkerung relativ gering ist, und stattdessen eigene Erzählungen in die Diskussion einzubringen – und die sind rassistisch. Sie verlagern die Verantwortung des globalen Nordens für die Ursachen des industriegemachten Klimawandels auf Teile der Weltbevölkerung, die teils seit Jahrhunderten unter dieser kolonialistischen Politik leiden.

Ist an dem Argument, dass die Überbevölkerung ein Problem für Umwelt und Klima ist, nicht etwas Wahres dran?

Quent: Natürlich bringt Bevölkerungswachstum Herausforderungen mit sich, etwa für die Nahrungsmittelversorgung, die auch mit der Klimakrise zusammenhängen. Aber rein faktisch werden auf dem afrikanischen Kontinent weniger als vier Prozent der CO2-Emissionen verursacht, ein viel größerer Teil dagegen im globalen Norden. Das zeigt: Nicht die Bevölkerungsentwicklung im globalen Süden ist das Problem für die Erderhitzung. Das Problem ist, dass ein relativ kleiner Teil der Weltbevölkerung vor allem im globalen Norden einen unverhältnismäßig großen Teil der Ressourcen und des noch zur Verfügung stehenden CO2-Budgets verbraucht.

Ist die Tatsache, dass sich auch Rechte für Umweltschutz einsetzen – wenn auch nationalistisch aufgeladen –, nicht auch eine Chance für die Akzeptanz der notwendigen Klimaschutzmaßnahmen?

Quent: Nein, denn die Rechte verschleiert die echten Ursachen und Verantwortlichkeiten. Die äußerste Rechte trifft eine geschickte Unterscheidung zwischen regionaler Umwelt und Natur einerseits und globalem Klima andererseits: Sie tritt dafür ein, die Natur hier bei uns zu schützen, etwa den deutschen Wald zu erhalten – und nicht durch Windräder zu »verschandeln«, wie es dort heißt. Dieser »Heimatschutz« ist gerade kein wirksamer Klimaschutz, denn der muss die systemischen Ursachen im globalen Maßstab in den Blick nehmen. In Einzelfällen setzen sich Menschen aus dem rechten Spektrum vielleicht für einzelne Klimaschutzmaßnahmen ein, etwa für die Renaturierung heimischer Moore oder die Aufforstung heimischer Wälder. Doch das geschieht nicht aus einer menschheitsorientierten Überzeugung heraus, sondern geht einher mit rassistischen, nationalistischen und oft antisemitischen Vorstellungen sowie mit taktischen Kalkulationen, die bestehende Ungleichheiten nicht in Frage stellen, sondern stabilisieren.

Kann es dem Klima nicht egal sein, aus welchen Motiven heraus es geschützt wird?

Quent: Naturwissenschaftlich zählt die reine Wirksamkeit der Reduktion aller Treibhausgasemissionen. Aber die rechte Erzählung, dass ein bisschen mehr deutscher Wald oder der Rückzug einiger völkischer Familien in einen antimodernen Lebensstil das Klima retten könnten, dient der Verschleierung der systemischen Ursachen. Wenn radikale Rechte ein paar Bäume pflanzen, um damit Sympathien zu wecken, führt das nicht zu einer systemischen Lösung des Problems, sondern im schlimmsten Fall zur Normalisierung menschenverachtender Ideologien. Wir sehen in vielen Ländern, dass die Klimabilanzen rechter Regime – von Bolsonaro über Trump bis Putin – katastrophal sind. Wir dürfen Klimaschutz nicht von der Menschenwürde und von Gerechtigkeit abkoppeln: Der Schutz des Klimas soll die Chance auf ein gelingendes Leben für alle Menschen ermöglichen. Die Überhöhung von Nationen oder Kulturen bis hin zu genozidalen Vernichtungsfantasien dient nicht dem Schutz des globalen Klimas, sondern missbraucht vorgeblichen Klimaschutz für eine reaktionär-faschistische Agenda.

 

Matthias Quent ist Professor für Soziologie an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Er forscht unter anderem zu Rechtsradikalismus, Förderung der Demokratie und zu gesellschaftspolitischen Fragen der ökologischen Transformation. Sein neues Buch »Klimarassismus. Der Kampf der Rechten gegen die ökologische Wende« (mit Christoph Richter und Axel Salheiser) erscheint im September 2022 bei Piper.

Erschienen in Publik-Forum 15/2022

© Ulrike Schnellbach – Abdruck nur nach Rücksprache mit der Autorin

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