Ein Ort, an dem die Zeit stillsteht

Immer wieder gerne: Zum Bäckeroffa-Essen in die Ranch Auberge du Hinterberg in den Vogesen

 

die Ranch Auberge du Hinterberg in den Vogesen
Einladend: die Ranch Auberge du Hinterberg bei Metzeral – Fotos: Ulrike Schnellbach

Die Welt verändert sich rasant, manchmal kann man kaum mithalten. Wie gut es da tut, an einen Ort zurückzukehren, an dem die Zeit stillzustehen scheint. Die Ferme Auberge Hinterberg ist so ein Ort, oberhalb von Metzeral in den Vogesen gelegen. Nicht nur das niedrige Steinhaus mit seinen verblichenen Fensterläden und den grünen Plastikstühlen im Hof kuschelt sich seit Jahrzehnten unverändert in den Buchenwald hinterm Berg. Auch dem Hausherrn und seiner Frau, die auf den schönen Namen Schildknecht hören, scheinen die Jahre nichts anzuhaben. Sie sehen immer gleich aus, die hagere blonde Frau und der großgewachsene Herr mit den buschigen Brauen.

 

Bäckeroffa-Essen
BäckeroffaZeremonienmeister Schildknecht
Der Herr des Tontopfes: Zeremonienmeister Schildknecht mit seinem sensationellen Bäckeroffa

Und die Zeremonie, mit der Herr Schildknecht den Deckel seines elsässischen Tontopfes lüftet, in dem er das Essen drei Stunden lang in Weißwein gegart hat, sie ist jedes Mal exakt dieselbe: Zuerst zerbricht er behutsam den Ring aus Teig („nur Wasser und Mehl, das kann man nicht essen“), mit dem er den ovalen Topf abgedichtet hat. Dann hebt er mit seinen rotweiß karierten Topflappen feierlich den Deckel, lässt den Dampf entweichen und gibt den Blick frei auf sorgsam geschichtete Kartoffelscheiben und ein Sträußchen Thymian. „Sie wissen ja, wie’s geht“, sagt er in seinem markanten Elsässerdeutsch –  und erklärt es sicherheitshalber doch nochmal: drei Sorten Fleisch enthält der Eintopf, dazu wenige Zwiebelringe und Karottenscheibchen, nicht zu vergessen „ein paar Schweinsfueß“.  Wir wissen das natürlich alles und freuen uns trotzdem jedes Mal wie Kinder, wenn sie die Schleife eines Geschenks öffnen. So einfach wie genial ist dieses traditionelle Gericht. Die Bäuerinnen sollen es früher morgens, wenn sie aufs Feld gingen, beim Dorfbäcker in den Ofen geschoben haben, um es mittags fertig wieder abzuholen, daher der Name: Bäckeroffa. Nirgendwo im Elsass haben wir ihn je so schmackhaft gegessen wie hier.

 

Auberge du Hinterberg
Hinterberg
In der Gaststube: elsässischer Honig, Deko en masse und stets eingedeckte Tische

Einmal gab’s eine kleine Revolution

In der gemütlichen Gaststube sind stets alle Tische eingedeckt, obwohl Herr Schildknecht und seine Frau niemals so viele Gäste erwarten. Mit uns können sie freilich seit rund zwei Jahrzehnten rechnen, mindestens einmal jährlich, in unterschiedlicher Besetzung. Anfangs kamen wir mit befreundeten Paaren nach weiten Wanderungen, genossen reichlich Riesling zum Bäckeroffa und lange Gespräche. Ließen uns spätabends vom Hausherrn mit der Taschenlampe zu Bett geleiten: einmal ums Gebäude herum und von hinten hinein ins obere Stockwerk mit sechs kiefernholzverschalten Schlafräumen und zwei einfachen Bädern. Ein paar Jahre später lag der kleine Sohn unserer Freunde schlafend im Wäschekorb unter dem Tisch; er hat dieses Jahr Abi gemacht. Auch unsere eigenen Kinder haben die Schildknechts aufwachsen sehen, mittlerweile kennen sie unsere komplette Verwandtschaft und sämtliche Freunde. Anmerken lassen sie sich das nicht. Wenn wir euphorisch die Gaststube betreten, „Wir sind’s wieder!“, zeigt er kaum Anzeichen des Erkennens. Sie streckt nur äußerst selten den Kopf aus der winzigen Küche. Wortkarg sind sie, wie Einsiedler.

Seit 1982 machen die beiden das hier oben, und einmal in all den Jahren hat es doch eine kleine Revolution gegeben: Wo immer nur Kerzen für Licht gesorgt hatten, hielt plötzlich die Elektrizität Einzug. Halogenlämpchen quer durch die Gaststube! Licht auf der Toilette! Und das Radio dudelte unentwegt. Wir fanden: schade um den Romantikfaktor. Die Schildknechts werden froh gewesen sein und auch wir haben uns mit der Zeit dran gewöhnt, zumal das Radio inzwischen wieder schweigt. 

 

Bäckeroffa-Essen
Seit Jahr und Tag: verblichener Charme mit frischen Geranien

Unverändert geblieben sind die rotrosa Geranienkästen draußen auf den Fensterbänken, die üppige Dekoration mit Plastikblumen drinnen in der guten Stube, die Teddybären auf dem Kaminsims neben dem Waldhonig, der zum Verkauf bereitsteht. Unverändert weist auch das Schild an der Straße zum Gaschney den Weg zur „Ranch Auberge“ – auch wenn die Zeiten, als der Hausherr hier Ausritte anbot, längst vorbei sind. „Die Pferde sind in Rente“, hat er dieses Jahr verraten, ungewöhnlich gesprächig, und auch er selbst sei nach 34 Jahren „ein bisschen müde“. Ich solle deshalb nicht allzuviel Werbung machen, bitteschön. Gäste bekocht er übrigens nur nach Voranmeldung – telefonisch. Das Internet ist hier noch nicht angekommen.

Ulrike Schnellbach

Ranch Auberge du Hinterberg
68380 Metzeral, Frankreich
Tel.: 0033-389776862


Erschienen in der Badischen Zeitung, 3. Dezember 2016

© Ulrike Schnellbach – Abdruck nur nach Rücksprache mit der Autorin

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