Für den Rest des Lebens

„Ich wollte kein Held sein“, sagt Wolf S., der seiner Frau eine Niere spendete. „Ich hätte ihn nie darum gebeten“, sagt Anneliese S. Eine Geschichte über Geben und Nehmen, Dankbarkeit und Gewissensbisse, Angst und Hoffnung.

Geteilte Nieren, gemeinsames Glück: Anneliese und Wolf S. halten zusammen
 Geteilte Nieren, gemeinsames Glück:
Anneliese und Wolf S. halten zusammen

Fast sechs Jahre ist es her, dass Wolf S. seiner Frau Anneliese eine seiner Nieren spendete. Bis heute funktionieren die beiden getrennten Nieren gut – was nicht bedeutet, dass es keine Schwierigkeiten gäbe. Von Anfang an ist eine Organspende eine komplizierte Angelegenheit mit monatelangen Voruntersuchungen. Neben den medizinischen sind auch ethische und moralische Aspekte zu berücksichtigen, viele Fragen müssen bedacht werden, bevor die Entscheidung fallen kann. Wie geht man mit dem Thema Dankbarkeit um? Wie mit der Angst vor dem Tod? Ist es überhaupt richtig, solch ein Geschenk anzunehmen?
Große Fragen, die letztlich jeder für sich beantworten muss. Deshalb haben Organspender und -Empfängerin in getrennten Gesprächen erzählt, wie sie die Transplantation und die Zeit seither erlebt haben.

 

Anneliese S.:

Ich war seit Jahren sehr schwach durch meine schlecht arbeitenden Nieren. Alles fiel mir extrem schwer, ich konnte mich auf nichts freuen, und ich war dadurch auch seelisch labil. Es lief auf eine Dialyse-Behandlung hinaus, wovor ich mich fürchtete. Man ist dabei an drei Tagen in der Woche für fünf Stunden an das Dialysegerät angeschlossen, das anstelle der Niere das Blut reinigt. Danach ist es einem oft schlecht, so dass die Lebensqualität sehr leidet.

Eines Tages bot mir meine älteste Tochter an, mir eine Niere zu spenden. Ich lehnte sofort ab, weil sie ein Kind hat und eine solche Operation ja auch eine Lebensgefahr in sich birgt. Daraufhin machte mein Mann mir dasselbe Angebot. Ich überlegte: Vielleicht kann man es leichter von einem alten Menschen annehmen, der sein Leben weitgehend gelebt hat?

Es sollte ein weiter Weg werden von diesem Angebot bis zu unserer Entscheidung. Ich hatte schlaflose Nächte, grübelte darüber, ob ich ein so großes Geschenk annehmen könne. Diese Stunden waren recht einsam, weil mein Mann nicht gerne redet und ich mich nicht mit ihm austauschen konnte.

„Warum wollen Sie Ihrem Mann das antun?“

Die Voruntersuchungen ergaben erstaunlicherweise, dass wir von der Blutgruppe und allen relevanten Werten her kompatibel waren, dass also eine Nierenspende denkbar war. Das deutete ich als Zeichen, die Transplantation zu wagen. Nie werde ich das Gespräch mit dem Professor vergessen, der uns operieren sollte. In diesem Gespräch sagte der Arzt den verhängnisvollen Satz: „Warum wollen Sie Ihrem Mann das antun?“ Er argumentierte, ich solle erst den „normalen Weg“ gehen über die Dialyse, und nach fünf, sechs Jahren würde ich dann sicher das Organ eines Verstorbenen bekommen. Das war für mich ein Nackenschlag. Ich hatte die Befürchtung, dass unsere Lust und Kraft etwas zu unternehmen in fünf Jahren nicht mehr so groß sein würde – und im Rückblick sehe ich, dass es genau so gekommen ist.

Unser Hausarzt empfahl uns, in eine andere Klinik zu gehen. So landeten wir in München-Großhadern. Dort verlief das Gespräch völlig anders: Die Ärzte bestärkten uns in unserem Vorhaben. Sie stützten sich auf Forschungsberichte vor allem aus den USA, denen zufolge es viel günstiger ist, Patienten zu transplantieren, die nicht zuvor dialysiert waren.

In München wurden wir zum zweiten Mal von Kopf bis Fuß unter die Lupe genommen, ob irgendwo eine Entzündung vorläge, die der Operation entgegenstehen könnte. Bei diesen Untersuchungen entdeckten die Ärzte einen Schatten auf der Niere meines Mannes – ein Schock! Neben der Sorge um meinen Mann empfand ich aber auch eine merkwürdige Erleichterung: „Gott sei Dank, jetzt ist mir die Entscheidung aus der Hand genommen und ich muss das Angebot doch nicht annehmen – das Grübeln hat ein Ende.“ Es stellte sich aber heraus, dass die Niere meines Mannes doch in Ordnung war.

„Vor der Operation war ich merkwürdig ruhig“

Besonders hilfreich in dieser Zeit waren die Einzel- und Paargespräche mit der Klinik-Psychologin, die bei einer solchen Entscheidung herangezogen werden muss. Darüber hinaus mussten wir unabhängig voneinander furchtbar viele Fragen schriftlich beantworten. Interessant ist es hinterher zu erfahren, wie der Partner geantwortet hat, zum Beispiel bei den Themen Familienleben, Lebenszufriedenheit oder Stressfaktoren. Da merkt man, wie schlecht man sich nach all den Jahren kennt. Letztendlich ging es bei den Fragen darum auszuschließen, dass ich meinen Partner genötigt haben könnte – was ich fast empörend fand.

Insgesamt sind wir wohl zehn Mal nach München gefahren. So war uns die Atmosphäre des Krankenhauses schon vertraut, als wir zum Operationstermin anreisten. Unser Sohn begleitete uns. Er ist Arzt und hat uns in dieser ganzen schwierigen Zeit mit Rat und Tat zur Seite gestanden.

Für mich überraschend war, dass ich unmittelbar vor der Operation kein bisschen aufgeregt, sondern merkwürdig ruhig war. Ich empfand vor allem Vorfreude, dass sich mein Zustand nun bessern könnte. Mir war zwar bewusst, dass ich den Engriff vielleicht nicht überstehen würde, aber ich hatte das Gefühl, ein schönes, erfülltes Leben gelebt zu haben. Merkwürdigerweise habe ich mir wenig Gedanken über den möglichen Fall gemacht, dass mein Körper diese Niere abstoßen könnte. Man wiegt sich da in so einer Sicherheit, dass schon alles gut gehen wird. Sorgen machte ich mir mehr um meinen Mann, weil er zu diesem Zeitpunkt durch eine Infektion geschwächt war.

„Wir waren die Stars der Klinik“

Die Operationen verliefen beide erfolgreich. Wir waren geradezu die Stars der Klinik. Organspenden zwischen Ehepartnern sind eher die Ausnahme, weil sie ja nicht blutsverwandt sind und die Organe daher selten zusammen passen. Und wir waren in Großhadern die ersten, die eine Nierentransplantation in diesem Alter durchmachten – wir waren beide 69.

Das allerwichtigste Gefühl in diesem Zusammenhang ist Dankbarkeit: dass ein Mensch so viel auf sich nimmt, um mir zu helfen – vielleicht auch in der Hoffnung, noch einmal gemeinsam reisen zu können, wie es für uns und besonders für meinen Mann immer wichtig war. Meine große Dankbarkeit und Freude halfen mir, die ersten Tage nach der Operation zu bewältigen, die mit starken Schmerzen verbunden waren. Am dritten Tag, glaube ich, war es, dass unser Sohn meinen Mann im Rollstuhl in mein Zimmer schob. Er sah so schlecht aus, dass bei mir sofort wieder Gewissensbisse und Zweifel einsetzten.

Für mich ging es glücklich weiter. Während mein Mann schon wieder zuhause war, hatte ich in der Klinik Geburtstag und wurde von allen Seiten verwöhnt. Das war sehr wichtig, dieses Getragenwerden von der Familie und von unseren Freunden, die immer wieder halfen und Trost und Zuspruch spendeten. 

Seither ist nicht alles einfach gut. Es gibt nicht nur Sonntage in unserem gemeinsamen Leben, wie ich es mir vielleicht erträumt hatte. Irgendwann taucht man zwangsläufig wieder in den Alltag ein. Für mich bedeutet die Transplantation ständige medizinische Kontrollen. Immer wieder habe ich gefährliche Harnwegsinfekte und muss in die Klinik. Was mir hilft ist mein Optimismus, das bestätigen auch die Ärzte.

„Ein Damoklesschwert schwebt immer über uns“

Die Hoffnung auf ein wieder aktiveres Leben hat sich nur teilweise erfüllt. Immer wenn mein Zustand stabil ist kann ich das sehr genießen, wenn ich auch durch andere Leiden wie Rückenprobleme oder einfach durch das Alter beeinträchtigt bin. Ich bin nicht mehr so tatkräftig wie früher, aber auf jeden Fall tatkräftiger als vor der Transplantation. Was mich beglückt ist dass ich wieder planen kann. Allerdings sind auch schon geplante Reisen wegen Infektionen geplatzt, und einmal musste ich während eines Urlaubs im Ausland ins Krankenhaus. Dieses Damoklesschwert schwebt immer über uns.

Trotz alledem: Es ist kaum mit Worten auszudrücken, was ich empfinde, und wie es mir mit diesem Geschenk geht. Ich staune über das große Wunder, dass so eine Transplantation medizinisch überhaupt möglich ist. Das geht mir immer wieder durch den Kopf: Ich laufe mit einem Organ meines Mannes herum, und das funktioniert! Es ist mir viel angenehmer, dass es ein Teil meines Mannes ist als das eines fremden Menschen.

Leider habe ich nach wie vor das Gefühl, dass die Gesundheit meines Mannes gelitten hat. Obwohl seine verbliebene Niere gut funktioniert und keine Veränderung nachzuweisen ist, ist sein Gesamtzustand in den letzten Jahren nicht gut. Besonders schwer ist es für mich, wenn mir Menschen sagen: „Das würde ich nie annehmen.“ Ich weiß aber, dass die Nierenspende die freie Entscheidung meines Mannes war. Ich hätte ihn niemals darum gebeten.

Insgesamt lebe ich seit der Transplantation viel bewusster und freue mich an all den kleinen Dingen des Alltags. Und ich denke mehr über die Endlichkeit des Lebens nach.

 Die Skulptur „Zuneigung“
Die Skulptur „Zuneigung“ der Stuttgarter Künstlerin Brigitte Anders:
ein Geschenk von Anneliese S. an ihren Mann

Wolf S.:

Annelieses Gesundheitszustand war kritisch, sie rechnete damit, in absehbarer Zeit dialysiert werden zu müssen. Wir machten uns große Sorgen um sie. Ich kann nicht leugnen, dass sich bei mir auch sehr egoistische Gedanken einschlichen: Unsere Zukunftsplanung würde erheblich eingeschränkt sein. Dreimal in der Woche mehrere Stunden lang Dialyse, danach Übelkeit und Abgeschlagenheit, möglicherweise Depressionen. Das waren Befürchtungen, die meine Frau und mich gleichermaßen beschäftigten.

Aus der Sorge um den Gesundheitszustand meiner Frau erwuchs der Wunsch, ihr zu helfen. Unsere älteste Tochter fasste als Erste die Möglichkeit einer Organspende ins Auge. Sie sprach mit ihrer Mutter darüber, nicht mit mir. Ich erfuhr erst über Anneliese davon. Wir lehnten strikt ab, um die jüngere Familie – unsere Tochter hatte ein kleines Kind – nicht zu belasten. Daraufhin stellte ich mir die Frage, ob nicht ich selbst als Spender in Frage käme. Den endgültigen Entschluss, Anneliese eine Niere zu spenden, fasste ich nach einem eingehenden Gespräch mit dem Nephrologen, der meine Frau betreute – wohl wissend, dass uns beiden noch ein langer und steiniger Weg bevorstand.

Es folgte eine Unterredung in der Freiburger Uniklinik, die in der Frage des zuständigen Arztes an meine Frau gipfelte: „Weshalb wollen Sie Ihrem Mann das antun?“ Anneliese standen Enttäuschung und Ratlosigkeit ins Gesicht geschrieben. Zum Glück stand uns unser Sohn bei diesem wie auch bei späteren Gesprächen ohne Wenn und Aber zur Seite, stellte als Mediziner kritische Fragen und beriet uns.

Untersuchungen auf gegenseitige „Tauglichkeit“

Unser Hausarzt verstand es auf sehr zurückhaltende Art, die Aussagen des Professors einzuordnen. Er selbst habe die Möglichkeit, uns ins Klinikum Großhadern zu empfehlen – und ließ uns damit neue Hoffnung schöpfen. Es folgten unendlich viele Gespräche im Münchner Klinikum sowie eingehende Untersuchungen hinsichtlich unserer gegenseitigen „Tauglichkeit“. Waren wir wirklich nach annähernd 50 Jahren Gemeinsamkeit kompatibel?

Wir wurden zu gründlichem Nachdenken gezwungen, auch in Gesprächen mit unseren Kindern. Es war eine Zeit der Vorbereitung, die uns viel bedeutete. Zweifel kamen nicht auf, wohl aber Furcht, Gedanken an den vielleicht vorzeitigen Tod. Ich hätte ihn zum Guten meiner (fast) lebenslangen Partnerin in Kauf genommen.

Einmal saß ich in München einer Ethik-Kommission gegenüber. Sie bestand aus einem Mediziner, einer Psychologin und einem Juristen. Was mir im Nachhinein merkwürdig erscheint: Die Kirche war nicht vertreten. Dabei hätte gerade ein Theologe manche emotionale und auch interessante Frage stellen können. Die Kommission interessierte sich vor allem für das Recht: War Geld versprochen worden, wurde Druck auf einen von uns beiden ausgeübt? Interessant, dass wir beide getrennt voneinander vorsprechen mussten.

Ein Schatten auf der Spenderniere: „Ein Schock!“

Dann kam der Einbruch: Auf einer meiner Nieren hatte man einen Schatten entdeckt. Natürlich überkam mich sofort der Gedanke: Krebs! In erster Linie hätte das geheißen: Transplantation unmöglich. Mit einem Paukenschlag wäre alle Hoffnung zerschlagen gewesen. An mögliche Konsequenzen für meine eigene Gesundheit dachte ich tatsächlich erst viel später. In der Folge verzögerte sich die Operation, weitere Untersuchungen waren unumgänglich. Das Ergebnis war negativ; das hieß für uns Entwarnung. Von da an ging alles recht schnell.

Point Zero nenne ich das Datum der Operation, weil der 13. Mai 2004 der Anfang eines ungewissen Neubeginns war. Geweckt wurde ich sehr früh, wir sollten die ersten sein. Ich erhielt eine Beruhigungstablette, und schon wurde ich samt Bett per Lift über mehrere Stockwerke, durch endlose Gänge zum OP transportiert. Mir gingen Bilder aus dem Film „Dead Man Walking“ durch den Kopf. „Wie heißt der Kandidat?“, hörte ich den Pfleger fragen, und dann: „Den können wir noch nicht brauchen!“ Es war ein Notfall dazwischen gekommen – als solcher galten wir also noch nicht.

Drei oder vier Stunden, die ich verschlief, später: „Herr S., aufwachen – es geht los!“ „Glaub’ ich nicht“, war meine lakonische Antwort. Es half nichts. Diesmal ging’s hinaus in einen Vorraum, in dem es auffällig hygienisch und unpersönlich zuging. Was sollten sie auch schon mit mir schwatzen!?

Die Narkose war mir unangenehm, obgleich der Anästhesist sie am Vortag mit mir besprochen hatte. Das letzte, was ich mir im Stillen zuraunte, war: Du hast Wochen damit verbracht, Vertrauen zu fassen.

„Das ist der Stress der OP“

Als ich wieder zu mir kam, ging es mir erstaunlich gut. Ich war noch schmerzfrei und konnte mit gewisser Neugier beobachten, was um mich herum vorging. Zu meiner Frau hatte ich keinen Kontakt, keine Ahnung, ob sie noch im OP war. Umso dankbarer war ich für die kurze Mitteilung eines Pflegers, alles sei gut verlaufen. Ich zweifle, ob mir jemals das Gegenteil gesagt worden wäre, falls … Ich mochte es mir nicht ausmalen.

Der Katzenjammer kam, als ich zurück auf meinem Zimmer war: haltloses Beben, das den ganzen Körper ergriff, viel heftiger als normaler Schüttelfrost. Mein Sohn saß auf der Bettkante und meinte ohne sichtliche Aufregung: „Das ist der Stress der OP.“

In den folgenden Tagen ging es wieder bergauf, wenn auch sehr langsam und im Rollstuhl. Den schob unser Sohn – in die Transplant-Abteilung. Mit Mundschutz und im grünen Kittel saß ich dann da am Bett meiner verkabelten Frau. Sie machte aber keinen schlechten Eindruck.
Die Organentnahme, also meine Operation, so habe ich mir erklären lassen, sei der kompliziertere Eingriff. Ich bin dankbar, dass er gut verlaufen ist, denn Anneliese hätte mein Ableben kaum verkraftet.

Dem Alltag entrückt, fremd in der Welt

Zehn Tage nach der Operation wurde ich von einem Freund abgeholt und nach Hause gebracht. Ich bewegte mich wie in einer fremden Welt. Was er mir über die Funktionsweise seines neuen Navigationsgerätes erzählte, war mir unverständlich und gleichgültig. Auf der weiteren Fahrt wurde ich heftig mit Musik von Gustav Mahler berieselt. Merkwürdig, wie man sich vom Alltag entfernen kann.

Damals, als ich aus der Klinik entlassen wurde, fühlte ich mich absolut fremd in der Welt. Diese Verlorenheit wurde durch den Alltag bald gemildert, aber ein Gefühl des Unbehagens, der Einsamkeit und Verlassenheit blieb noch lange. Diese seelische Verfassung ist sehr schwer zu beschreiben. An diesem Zustand änderte auch Annelieses Rückkehr nach Hause nichts. Es dauerte ein gutes Jahr, bis ich das Gefühl hatte, wieder ich selbst zu sein.

Zweifel, ob unsere Entscheidung richtig war, gab es für uns nicht und gibt es bis heute nicht. Wenn man mich fragte, worin ich den Sinn des ganzen Aufwands sehe, dann würde ich antworten: Zum einen war es das Bedürfnis, meinem Leben einen tieferen Sinn zu verleihen. Ich hoffte intensiv, dass mein Entschluss und mein Durchhalten als Geschenk empfunden würde – eine ganz schlichte Sache. Zum anderen hatte ich den Wunsch, dass meine Frau einen erträglicheren und versöhnlichen Lebensausklang würde erleben dürfen, als ohne die Gabe. Ich wollte kein Held sein, ich wollte nicht bewundert werden. Ich empfand den gesamten Vorgang als Bedürfnis, zumindest nachdem die Organspende einmal erwogen war. Im Nachhinein frage ich mich: Weshalb bin ich nicht viel früher – und aus eigenem Antrieb – auf den Gedanken einer Nierenspende gekommen?

Ja, ich hatte Angst vor dem Tod. Obwohl – das stimmt nicht ganz. Ich habe mich schon seit langem mit dem Gedanken an den Tod auseinandergesetzt. Über die Jahre hat die Furcht ihre Spitze verloren. Was bleibt, ist der Wunsch nach einem würdigen Tod, für mich wie für meine Partnerin. Und die Hoffnung, dass unsere bescheidene Lebensleistung bei unseren Nächsten als liebevolle Erinnerung fortleben möge.

 

 

Infobox:

Anneliese S. ist Jahrgang 1935, Wolf S. 1934. Die Nierentransplantation wurde im Mai 2004 vorgenommen. Seitdem muss Anneliese S. täglich – und ihr Leben lang – starke Medikamente einnehmen, die ihre körpereigene Abwehr schwächen. Das mindert das Risiko, dass das fremde Organ abgestoßen wird, macht aber für Infekte anfällig. Seit der Transplantation war Anneliese S. rund zehn Mal mit akuten Harnwegsinfekten in der Klinik. Dabei besteht immer die Gefahr, dass die Niere abgestoßen wird.
Anneliese und Wolf S. sind seit 50 Jahren verheiratet, sie haben drei Kinder und fünf Enkel. Sie leben in Freiburg.

 

Erschienen in Publik-Forum 3 / 2010

 

© Ulrike Schnellbach – Abdruck nur nach Rücksprache mit der Autorin

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