Elisabeth hilf!

Die Sozialarbeiterin Elisabeth Götz (46) arbeitet seit mehr als 20 Jahren in einem Freiburger Flüchtlingswohnheim – und hat sich ihren Humor bewahrt

Elisabeth Götz
Elisabeth Götz. Foto: Schnellbach

Aufgezeichnet von Ulrike Schnellbach

Hier ist es gerade sehr trostlos, alles runtergekommen, eine große Baustelle: Es werden neue Container zusätzlich zu den sieben Häusern aufgestellt, dadurch ist auf den Wegen überall Matsch, und der Bolzplatz musste weichen. Das ist für die 340 Flüchtlinge, die zurzeit hier wohnen, schon frustrierend, vor allem für die Jugendlichen. Hier ist ja ihr Zuhause, so schlimm das ist. Im Schnitt leben die Flüchtlinge drei Jahre im Wohnheim, viele sind aber auch fünf bis sieben Jahre da. Einmal hatte ich eine kurdische Familie, die hat 20 Jahre im Heim gewohnt!

Auch für mich ist es unschön und eng, aber ich arbeite hier ja nur, ich blende das aus. Die Arbeit mit den Flüchtlingen empfinde ich nicht nur als belastend, im Gegenteil. Wenn man ihnen offen und wertschätzend begegnet, kommt so viel zurück: Man erfährt viel über ferne Länder und fremde Kulturen, vor allem lernt man tolle Menschen kennen mit unglaublichen Ressourcen, Menschen, die trotz allem nicht aufgeben. Wie die Kinder strahlen, wenn man ihnen nur eine Kleinigkeit gibt! Und die Erwachsenen bedanken sich 1000mal, weil man ihnen hilft.

„Es wird leichter, wenn man Erfahrung hat“

Mir war schon im Studium klar, dass ich mich für Menschen einsetzen möchte, die keine Lobby haben. Den Job mache ich bis heute immer noch mit großer Motivation – natürlich nicht an allen Tagen gleichermaßen, aber ich habe noch nie mit dem Gedanken gespielt, den Bettel hinzuschmeißen. Am Anfang meines Berufslebens war es schon hart. Ich erinnere mich genau an die erste Abschiebung, die ich miterleben musste: Es war eine kurdische Familie, und sie rief mich alle halbe Stunde aus dem Polizeiwagen heraus an, der sie zum Flugplatz brachte: „Elisabeth hilf!“ Ich benachrichtigte den Anwalt, aber dann war ich mit meiner Sozialarbeit am Ende. Sogar der Anwalt konnte nichts mehr tun. An diesem Abend habe ich sehr geweint.

In letzter Zeit sind aus unserem Wohnheim zum Glück nur selten Menschen abgeschoben worden. Aber im Moment sind die Roma in heller Aufregung. Seit unlängst eine Mutter mit sechs kleinen Kindern aus Freiburg nach Serbien abgeschoben wurde, sitzen sie auf gepackten Koffern und haben einfach nur Angst. Das ist auch für mich sehr belastend, in dieser Situation kommt man mit Sozialarbeit kaum weiter. Ich verstehe nicht, dass die Landesregierung nicht einmal einen Winterabschiebestopp verhängt.

Die Arbeit ist insgesamt leichter, wenn man mehr Erfahrung hat. Ich habe ein großes Netzwerk innerhalb des Deutschen Roten Kreuzes, für das ich arbeite, und auch darüber hinaus. Darauf kann ich zurückgreifen, wenn ich alleine nicht weiterkomme. Auch Supervision hilft. Außerdem bin ich von Natur aus ein positiver Mensch voller Lebensfreude. Wir lachen hier auch viel zusammen, das ist ganz wichtig. Man darf nie den Humor verlieren und muss das Positive bewusst wahrnehmen: Wenn jemand bei uns eine Aufenthaltsgenehmigung bekommt, dann feiern wir! Es ist wichtig, dass man ab und zu etwas Schönes unternimmt: Vor Weihnachten waren wir zusammen im Zirkus, die Tickets hatte eine Stiftung gespendet. So was sollte man viel öfter machen, aber im Alltag fehlt dazu leider oft die Zeit.

„Ich kämpfe bis zum letzten... – Es lohnt sich.“

Ich kann sehr gut abschalten. Hier bringe ich vollen Einsatz, aber wenn ich nach Hause komme zu meinem Mann und meinen beiden Kindern, dann ist Familie angesagt, dann ist Feierabend. Niemand aus meinem beruflichen Umfeld hat meine private Telefonnummer. Ich träume auch nicht von der Arbeit und wenn ich aus dem Urlaub komme, muss ich manchmal überlegen, wie die Leute hier im Heim noch mal heißen, so komplett habe ich abgeschaltet. Das bedeutet nicht, dass mir das Schicksal dieser Menschen egal wäre – ohne Empathie könnte ich nicht mehr in den Spiegel schauen. Ich kämpfe bis zum letzten, aber wenn’s nicht klappt, lasse ich es nicht mehr so an mich rankommen wie früher.

Und es gibt auch Erfolge: Zum Beispiel, dass die Flüchtlinge heute Geld bekommen statt Lebensmittelpaketen – das war ein jahrelanger Kampf. Einmal haben wir über die Zeitung zu Spenden für eine irakische Familie aufgerufen. Sie waren auf der Flucht getrennt worden, zwei Töchter waren wieder im Irak gelandet. Es kamen so viele Spenden zusammen, dass wir damit nicht nur diese, sondern auch viele andere Familien zusammenführen konnten; das scheitert nämlich häufig an den Kosten fürs Flugticket.

Letzten Herbst habe ich mich für eine Jesidin aus Mossul eingesetzt. Sie war dort Krankenschwester und hatte so viele verstümmelte Leichen gesehen, dass sie total traumatisiert war, sie konnte gar nicht alleine schlafen. Deshalb wollte sie nach Freiburg zu ihrem Bruder, dem einzigen Menschen, den sie in Deutschland kannte. Stattdessen sollte sie nach Bayern gebracht werden. Da habe ich mich auf die Hinterbeine gestellt und mich sicher bei den Behörden unbeliebt gemacht, aber ich habe es geschafft, dass die Frau zu ihrem Bruder kam. Das hat mir wieder mal gezeigt: Es lohnt sich zu kämpfen.

 

Erschienen in Publik-Forum 17/2015

© Ulrike Schnellbach – Abdruck nur nach Rücksprache mit der Autorin

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