Ein Platz am Rande

Nicht nur Frankreich: Auch Deutschland will seine 12.000 geduldeten Roma lieber heute als morgen loswerden. Das traditionell tolerante Freiburg setzt sich dagegen für ein Bleiberecht ein – doch das ist nicht die ganze Geschichte.

Von Ulrike Schnellbach

Diese Roma-Kinder sind in Freiburg geboren und aufgewachsen Zuhause auf Zeit: Viele der geduldeten Roma leben in Freiburg in einem abgelegenen Wohnheim am Flugplatz. Fotos: Schnellbach

Die massenhaften Abschiebungen von Roma aus Frankreich in diesem Sommer haben Proteste bis in die Spitze der Europäischen Union hervorgerufen. Dabei ist die verbale Unterstützung für diese Volksgruppe eigentlich überraschend, denn im Grunde sind die zehn Millionen Roma in der EU nirgendwo gut gelitten. Sie sind der Europäischen Grundrechteagentur zufolge die am meisten diskriminierte Minderheit. Neben Frankreich versucht beispielsweise auch Italien bereits seit 1997, die ungeliebten Zigeuner (wie sie sich selbst nennen) in ihre „Heimat“ zurückzuschicken. Doch wo ist ein Volk zuhause, das auf viele Länder verstreut lebt und das niemand wirklich haben will?

Einen Höhepunkt erreichte die Verfolgung unter den deutschen Nationalsozialisten, die eine halbe Million Sinti und Roma in Vernichtungslagern umbrachten. Deshalb erinnern immer wieder mahnende Stimmen an die historische Verantwortung Deutschlands. Doch wo Roma und Einheimische aufeinander treffen, gibt es auch hierzulande oft Unverständnis über die unstete Lebensweise und fremde Kultur dieser Volksgruppe.

Freiburger Gastfreundschaft – mit Einschränkung

Eine der Städte, wo sich besonders viele Roma angesiedelt haben, ist Freiburg. Fast 700 Roma aus dem Kosovo leben hier bereits seit den 90-er Jahren. Im Jahr 2006 sprach sich der Freiburger Gemeinderat für ein dauerhaftes Bleiberecht für die langjährig geduldeten Roma aus. Die Resolution, die allerdings nur appellativen Charakter hat, ist bis heute gültig. Doch als in diesem Sommer plötzlich 140 weitere Roma in Freiburg ankamen, wurde die Gastfreundschaft auf eine harte Probe gestellt. Die Solidarität mit den alteingesessenen Roma – auf die „Neuen“ wurde sie nicht übertragen.

Gerade hatte die Stadtverwaltung wegen sinkender Asylbewerberzahlen einige Flüchtlingsunterkünfte umgenutzt, nun waren die verbliebenen rasch hoffnungslos überfüllt. Der Ruf nach finanzieller Unterstützung oder Umverteilung der ungebetenen Gäste stieß in Stuttgart auf taube Ohren. Die konservative Landesregierung war offensichtlich der Meinung, diese Suppe habe sich das grüne Freiburg mit seiner Resolution selbst eingebrockt.

In der Not griff die Stadt zu einem umstrittenen Mittel: Hatten die Flüchtlinge anfangs neben Lebensmitteln 40 Euro Bargeld monatlich erhalten, so bekamen sie nun eine Chipkarte ausgehändigt, mit der sie selbst einkaufen konnten – aber keinen Cent Bargeld mehr. Denn in der Stadtverwaltung vermutete man, dass die Neuankömmlinge das Geld verwendeten, um Schlepper zu bezahlen. Zugleich wurde den ungebetenen Gästen eine Ausreiseaufforderung zugestellt. Und tatsächlich verschwand quasi über Nacht die Hälfte der „neuen“ Roma spurlos aus der Stadt. Seitdem kommen noch vereinzelt Roma-Familien nach Freiburg, jedoch nicht mehr in diesem Umfang.

„Schnuckelige Initiativen“ für die Roma

Der Leiter des Freiburger Büros für Migration und Integration, Hans Steiner, ist froh über die Ruhe an der Roma-Front, die nun wieder eingekehrt ist. „Wir möchten weder sehen, dass Roma in Bussen abgeholt und abgeschoben werden, noch wollen wir die Situation erleben, dass wir Turnhallen als Flüchtlingslager nutzen müssen“, sagt Steiner in der ihm eigenen bedächtigen Art. Wie die Bevölkerung reagiert, wenn Woche für Woche neue Roma in die Stadt strömen würden, möchte er sich lieber nicht ausmalen.

Bislang haben sich die Freiburger tolerant gezeigt. Was vielleicht auch daran liegt, dass die Roma überwiegend in zwei abgelegenen Sammelunterkünften wohnen und kaum mit Einheimischen in Berührung kommen. Offene Ablehnung gibt es kaum, dafür immer wieder „schnuckelige Initiativen“ (Steiner), etwa für die Schulintegration der Roma-Kinder oder wenn akut Abschiebungen bevorstehen. Auch im Gemeinderat agitiert keine politische Gruppierung gegen die Roma, obgleich die Stadt allein in den vergangenen fünf Jahren 20 Millionen Euro für sie aufwenden musste.

Der Mann vom Migrationsamt spricht gerne von den Erfolgsgeschichten: Zum Beispiel von der Familie Denaj, die durch ein Kirchenasyl vor der Abschiebung bewahrt wurde und mittlerweile eine eigene Wohnung bewohnt und sich selbst versorgt. Oder von Roma-Jugendlichen, die sich aus ihren traditionellen familiären Strukturen lösen und so ins Zeug legen, dass sie es aufs Gymnasium oder sogar an die Uni schaffen.

Zuhause auf Zeit Diese Roma-Kinder sind in Freiburg geboren und aufgewachsen. Die Stadt will deshalb, dass sie bleiben - aber Bund und Land wollen sie am liebsten bald loswerden.

„Sie ergreifen die Chancen, die man ihnen bietet“

Besonders froh ist Steiner über den Projektverbund Bleiberecht der Caritas und anderer Akteure, der sich um Jobs für langjährig Geduldete bemüht, damit sie die Voraussetzungen für ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht erfüllen. Im vergangenen Jahr konnten die Sozialarbeiter des Verbunds rund 100 Roma in feste Stellen vermitteln. Das zeigt für Hans Steiner, „dass sie die Chance ergreifen, wenn man ihnen eine bietet“.

Wobei der Integrationsexperte keinen Hehl daraus macht, dass die Roma am Arbeitsmarkt nicht leicht zu vermitteln sind: „Das darf man nicht idealisieren.“ Überhaupt gebe es „fundamentale kulturelle Unterschiede“ zwischen ihnen und der deutschen Gesellschaft. Steiners Eindruck ist, dass sich die Roma – aus der Erfahrung jahrhundertelanger Diskriminierung heraus – ihren Platz am Rand der Gesellschaft suchen, anstatt sich aktiv zu integrieren. „Sie wollen akzeptiert werden, aber sich nicht assimilieren.“   

Hans Steiner weiß auch, dass seine Erfolgsgeschichten von den Ausnahmen erzählen. Die Regel ist, dass die Kinder der überwiegend arbeitslosen Roma-Familien sich zusammen mit anderen Migranten in den Hauptschulen konzentrieren – einfach weil sie oft schlecht deutsch sprechen und zuhause nicht gefördert werden. Und hier, wo sie mit den Anforderungen der Mehrheitsgesellschaft konfrontiert sind, gibt es durchaus Probleme. „Mal sind sie da, dann kommen sie wieder nicht“, erzählt eine Hauptschullehrerin, die sich im Migrantenmilieu gut auskennt.

Drastische Kritik hinter vorgehaltener Hand

Ihre Kritik äußert sie drastisch, aber hinter vorgehaltener Hand – politisch korrekt sind solche Aussagen ja nicht. Die Lehrerin erzählt, dass sie Schülerinnen morgens mit dem Handy weckt, da sie sonst nicht in die Schule kämen. „Das Problem sind vor allem die Eltern“, sagt sie. Die sprächen weder Deutsch noch sähen sie Bildung als wichtigen Wert an. Zumal viele Roma ihr Geld nicht mit regulären Jobs verdienten, sondern mit „allenfalls halblegalen Aktivitäten“.

Ein junger Kollege, der in seiner fünften Klasse ausschließlich Kinder mit Migrationshintergrund hat, äußert sich vorsichtiger. Aber auch er berichtet von massiven Fehlzeiten vor allem bei den Roma, von dauernden Regelverstößen, fehlenden Hausaufgaben und aggressivem Verhalten. Und von Eltern, die grundsätzlich nicht bei Sprechtagen oder Elternabenden erscheinen.

Deshalb hat er die Roma im Flüchtlingswohnheim aufgesucht, wo sie auf engstem Raum und in ständiger Angst vor der Ausweisung leben. „Da habe ich verstanden, dass diese Familien andere Sorgen haben, als ihre Kinder regelmäßig zur Schule zu schicken.“

„Die Eltern konsequent in die Pflicht nehmen“

Doch Verständnis allein hilft nicht weiter. „Wenn diese Kinder eine Chance auf einen Abschluss haben sollen“, sagt der Junglehrer nüchtern, „dann muss sich die Schule ändern“. Ganztagsbetreuung schlägt er vor und einen weniger bücherbezogenen Unterricht, „der diese Schüler mehr motiviert und ihre oft eher praktischen Talente fördert“.

Seine Kollegin, auch sie der Fremdenfeindlichkeit unverdächtig, ist nach vielen Jahren an Brennpunktschulen mit ihrer Geduld am Ende. Natürlich könne man nicht für Abschiebungen sein, sagt sie, auch wenn die Kultur der Roma nicht zu der unseren passe. Aber sie plädiert inzwischen dafür, die Eltern strikt in die Pflicht zu nehmen, den Kindern zuliebe: „Diese Kinder müssen von ganz klein auf in einer Einrichtung deutsch lernen und sich an hiesige Gepflogenheiten gewöhnen.“ Außerdem müsse Fehlverhalten wie Schuleschwänzen konsequent geahndet werden, etwa mit Bußgeldern.

Von den Politikern fühlt sich die engagierte Pädagogin im Stich gelassen. „Die verabschieden tolle Resolutionen“, sagt sie mit Blick auf den Roma-Beschluss des Freiburger Gemeinderats, „aber dann lassen sie uns mit den Problemen allein.“

 

Rückkehr ins Elend

Knapp 12.000 Roma sollen in den kommenden Jahren aus Deutschland in den Kosovo abgeschoben werden, etwa 5000 von ihnen sind Kinder. Was sie dort erwartet, ist ein Trauerspiel: Armut, Ausgrenzung, Perspektivlosigkeit. Die Roma-Familien kommen meist bei Angehörigen unter, die selbst auf engstem Raum in heruntergekommenen Lagern leben. Die Arbeitslosigkeit liegt im Kosovo bei rund 40 Prozent, bei den Roma um die 90 Prozent. Viele der in Deutschland aufgewachsenen Kinder sprechen nur wenig albanisch, so dass sie nach ihrer „Rückkehr“ massive Schwierigkeiten in der Schule haben. „Die Roma im Kosovo sind die ärmste Volksgruppe im ärmsten Land Südosteuropas“, sagte der UNICEF-Leiter im Kosovo, Johannes Wedenig, bei der Vorstellung eines Berichts im Juli 2010 in Berlin. „Zwei Drittel der Roma-Kinder leben dort in Armut, jedes dritte Kind hat nicht einmal ausreichend zu essen.“
Im Herbst 2009 besuchte der Sozialwissenschaftler Stephan Dünnwald im Auftrag von Pro Asyl Roma-Familien im Kosovo, die aus Deutschland abgeschoben worden waren. Sein düsteres Fazit deckt sich weitgehend mit den Beobachtungen von UNICEF und Amnesty international: Roma werden im Kosovo noch viel stärker diskriminiert als Angehörige der serbischen Minderheit. So würden gewaltsame Angriffe auf Roma von der Polizei nicht konsequent verfolgt. Außerdem fehle es den Rückkehrern an Wohnraum und an der nötigen medizinischen Versorgung. Trotzdem erhielten nicht alle Familien Sozialhilfe – die ohnedies nicht zum Überleben reiche. Dünnwald zufolge sind die Abgeschobenen auf die Solidarität ihrer weitläufigen Familien angewiesen, die jedoch selbst meist bitter arm sind. Für viele seien Überweisungen von Angehörigen, die noch in Deutschland leben, die einzige Einnahmequelle.

Erschienen in Publik-Forum 19/2010

© Ulrike Schnellbach – Abdruck nur nach Rücksprache mit der Autorin

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