Den Namenlosen ein Gesicht geben

Die Freiburger Ethnologin Ulrike Kübler dreht einen Film über Flüchtlinge auf Malta

Von Ulrike Schnellbach

die Freiburger Ethologin Ulrike Kübler
Fühlt sich eng mit dem kleinsten Land der EU verbunden – und mit den afrikanischen Flüchtlingen, die dort stranden: die Freiburger Ethologin Ulrike Kübler. – Foto: Ulrike Schnellbach

Es ist eine Art Hassliebe, die Ulrike Kübler mit Malta verbindet: Wo andere gerne mal einen Kurzurlaub in einer angenehmen Hotelanlage verbringen, fühlt sich die 29-jährige Ethologin aus Freiburg beinahe zuhause. Sie hat viele Bekannte dort, sogar Freunde. So viel Zeit hat sie auf der Mittelmeerinsel schon verbracht, dass sie nichts Neues mehr zu entdecken findet. Eine Vertrautheit, die sich heimelig anfühlt, die aber auch nerven kann. 316 Quadratkilometer umfasst der kleinste Staat der Europäischen Union und ist damit etwa so groß wie München. „Ich bekomme den Inselkoller, wenn ich zu lange dort bin“, sagt Ulrike Kübler, die für ihre Magisterarbeit im Jahr 2008 mehrere Monate lang Feldforschung auf Malta betrieben und jüngst noch einmal acht Wochen dort verbracht hat.

Zum Gefühl der Enge gesellte sich im Laufe der Zeit ein Unbehagen über Maltas Umgang mit den Asylbewerbern aus Afrika. Denn Ulrike Kübler hat in den Flüchtlingslagern gearbeitet, die Gesichter der Menschen gesehen und ihre erschütternden Lebensgeschichten gehört. „Es muss triftige Gründe geben“, sagt die junge Frau ernst, „wenn sich jemand in einer klapprigen Nussschale auf den gefährlichen Weg übers Mittelmeer macht.“

Wer das überlebt, den empfängt Europa mit Widerwillen. 18 Monate werden die Neuankömmlinge auf Malta in Zeltstädten interniert, länger als in allen anderen EU-Staaten. Bis zu 24 Menschen hausen in jedem der Armeezelte, die sich in der Sommersonne gnadenlos aufheizen und im Winter kaum Schutz vor der feuchten Kälte bieten. Zustände, die der Menschenrechtskommissar des Europarats, Thomas Hammarberg, nach einem Besuch im vergangenen Jahr als „absolut unangemessen“ bezeichnete. Abgesandte der Vereinten Nationen hatten bereits 2009 bemängelt, die Haftbedingungen stünden „nicht im Einklang mit internationalen Menschenrechten“.

Wenn Ulrike Kübler auf Malta ein Koller überkommt, obwohl sie sich frei bewegen kann, wie erst muss es den Flüchtlingen in den Lagern ergehen? Die meisten sind zufällig auf der Insel südlich von Sizilien gestrandet, den Weg aufs europäische Festland versperrt ihnen die Dublin II-Verordnung. Die regelt, dass für Asylverfahren jeweils das Ankunftsland zuständig ist. Arme Länder wie Griechenland und kleine Staaten wie Malta sind damit hoffnungslos überfordert. Offiziell sind dort knapp 15.000 Flüchtlinge registriert – bei einer Gesamtbevölkerung von 420.000 Maltesern eine hohe Zahl. Die großen EU-Staaten wie Deutschland zeigen keine Neigung, den Druck aus dem Kessel zu nehmen. 152 Flüchtlinge hat die Bundesrepublik in einem humanitären Akt im vergangenen Jahr aus Malta übernommen – während sie andere, die sich auf eigene Faust nach Deutschland durchgeschlagen hatten, reihenweise dorthin zurückschickte.

Festung Europa: „Den Begriff hatte ich hunderte Male in der Zeitung gelesen“, erinnert sich Ulrike Kübler. Nun hat er sich mit persönlicher Bedeutung gefüllt, und das möchte sie auch bei anderen auslösen. Als sie zwei Absolventen der Stuttgarter Hochschule der Medien kennen lernte, entwickelte das Trio die Idee, einen Film über die Flüchtlinge auf Malta zu drehen. „Unser Ziel ist es, den Migranten ein Gesicht und eine Stimme zu geben“, sagt Ulrike Kübler. Die Filmemacher Casjen Ennen (27) und Benjamin Wiedenbruch (25) sind vom Fach, Ulrike Kübler kennt sich auf Malta aus, und so gingen die Drei ans Werk. 90 Tage Dreharbeiten liegen gerade hinter ihnen, 150 Stunden Filmmaterial haben sie aufgenommen und rund 2000 Euro an Spenden gesammelt, um ihr Projekt umzusetzen. Der englischsprachige Film soll Ende 2012 in Stuttgart Premiere haben und dann bei internationalen Dokumentarfilm-Festivals gezeigt werden. Die Autoren hoffen auf ein europäisches Publikum. Auch in Freiburg sind Vorführungen geplant.

26-jähriger Somalier
Seinen Namen möchte er für sich behalten, aber sein Gesicht zeigt er: Der 26-jährige Somalier lebt inzwischen in Norwegen. – Foto: Casjen Ennen

Drei Geschichten werden die Zuschauer kennen lernen: Die eines 26-jährigen Somaliers, der mit 18 Jahren aus dem umkämpften Land floh und aufgrund seiner relativ guten Schulbildung in Malta als „Erfolgsmigrant“ galt. Inzwischen konnte er im Rahmen eines Resettlement-Programms nach Norwegen übersiedeln; dort will ihn das Filmteam demnächst besuchen, um seine Geschichte weiter zu erzählen. Die zweite handelt von einem ebenfalls 26-Jährigen aus Mali. Er kam als Teenager nach Malta, wo er mittlerweile als Installateur arbeitet und sich heimisch fühlt. Als einer der wenigsten Flüchtlinge würde er gerne auf der Insel bleiben; doch seine Chancen auf ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht stehen schlecht. Die dritte ist die Geschichte einer 24-jährigen Frau, deren Familie in Somalia bei einem Bombenangriff beinahe vollständig ausgelöscht wurde. Als sie flüchtete, musste die Frau ihre kleine Tochter bei ihrer Mutter zurücklassen. Jetzt steckt sie mit einer befristeten Duldung auf Malta fest, während sich die Zustände in ihrer Heimat zuspitzen.

Junger Mann aus Mali
Der junge Mann aus Mali arbeitet als Installateur für Klimaanlagen und möchte in Malta bleiben – doch sein Aufenthalt ist nicht gesichert. – Foto: Benjamin Wiedenbruch

Die jungen Filmemacher haben ihr Projekt sorgfältig angelegt. Die persönlichen Schicksale unterfüttern sie mit Experteninterviews über rechtliche, psychologische und politische Fragen, „um dem komplexen Thema durch eine adäquate Form gerecht zu werden“, wie Ulrike Kübler es ausdrückt. Sie hat im Trio die Rolle der Produzentin übernommen, mit viel Idealismus, aber auch einem Gespür für das Machbare und Notwendige. „Es ist wichtig, Distanz zu wahren“, sagt sie etwa mit einer bemerkenswerten Abgeklärtheit über die Protagonisten des Films, die ihr so vertraut geworden sind; „man darf sich nicht zu sehr emotional involvieren lassen.“ Es ist ähnlich wie mit ihrem Verhältnis zu Malta: Wenn die Nähe zu groß wird, wird es schwierig.

Erschienen in der Badischen Zeitung, 11. Juni 2012

© Ulrike Schnellbach – Abdruck nur nach Rücksprache mit der Autorin

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