Auf der falschen Seite

Felix Benneckenstein (30) war Neonazi. Vor fünf Jahren stieg er aus und engagiert sich seither gegen Rechtsextremismus. Jetzt muss er sich vor seinen ehemaligen Freunden fürchten.

Aufgezeichnet von Ulrike Schnellbach

Felix Benneckenstein
„Die Ideologie hatte bei mir immer einen Riss“, sagt Felix Benneckenstein, dessen kleiner Bruder das Down-Syndrom hat.
Das passte nicht ins rechtsextreme Weltbild. – Foto: privat

Irgendwann möchte ich das nicht mehr machen, meine Geschichte in Kurzversion erzählen. Denn so ist sie natürlich nicht ganz richtig, da müsste ich noch viele andere Punkte erwähnen. Warum ich es trotzdem immer wieder mache: Das ist mein Umgang mit meinen Schuld- und Schamgefühlen. Ich unternehme etwas gegen die Szene – mit den Mitteln, die ich habe. Mich beunruhigt, welchen Erfolg die AfD mit ihren krassen Parolen hat. Sie ist zwar keine Nazi-Partei mit geschlossener Ideologie. Aber was AfD- und PEGIDA-Leute heute sagen, hat vor ein paar Jahren die NPD vertreten. Zum Beispiel der Begriff „Volkstod“ – da wird tatsächlich jeder Flüchtling zur Bedrohung. So was macht mir wahrscheinlich mehr Sorgen als anderen.

Angefangen hat bei mir alles in der Pubertät. Ich bin im Großraum München aufgewachsen, mit meinen Eltern und drei Brüdern. Bis ich 13, 14 war, war ich ein unauffälliger Schüler. Dann begann die rebellische Phase, gegen Lehrer, Eltern, gegen alle Autoritäten. Ich brach das Gymnasium ab – erst kürzlich habe ich die Mittlere Reife nachgeholt, das Abitur steht noch aus. Mich gegen meine Eltern aufzulehnen war damals gar nicht so einfach: Sie sind sehr tolerante Menschen, mit Piercings oder Punkfrisur hätte ich die nicht schocken können. Das ging eigentlich nur, indem ich rechts wurde.

„Meine Eltern waren entsetzt. Das wollte ich so.“

In unserem Ort gab es eine Rivalität zwischen zwei Jugendcliquen: Die anderen waren im Jugendzentrum, wir nicht. Da hat unsere Clique auf einen Schlag beschlossen, dass wir rechts sind. Wir haben die anderen zu ‚Ausländern’ erklärt und uns zu ‚Deutschen’. So schnell kann das gehen. Und es war ganz einfach: Es gab einen NPD-Ortsverband und einen Laden mit Nazisachen unter der Theke. Ganz wichtig war der Rechtsrock: Man fand die Nazis interessant, die so coole Musik machen, und identifizierte sich mit den Texten.

Bei mir war das nicht ganz so einfach, weil mein kleiner Bruder das Down-Syndrom hat. Das passte natürlich nicht in die Ideologie. In weiten Teilen stimmte ich mit der Ideologie aber überein. Nur das mit den Gaskammern – das kann man doch nicht im Ernst gut finden, dachte ich. Dann liest man viel über die „Holocaust-Lüge“ und bekommt ansonsten überzeugende Antworten, so dass man sich schließlich fragt: Warum sollten die lügen? Ich wollte einfach daran glauben, um ein Nazi sein zu können.

Meine Eltern waren entsetzt, das wollte ich auch so. Ich zog zuhause aus, gründete eine Kameradschaft, die meine Ersatzfamilie wurde, und reiste als Nazi-Liedermacher herum – klassische Gitarre hatte ich ja gelernt. Allerlei Unsinn habe ich an Wände geschmiert, „Märtyrer des Friedens – Rudolf Hess“, „Frei-Sozial-National“ und solches Zeug. Im Stadtpark bin ich Punks angegangen, auch mal mit Pfefferspray. Ich radikalisierte mich total. Auch wenn eine kleine Lücke in der Ideologie bei mir wegen meines Bruders immer blieb.

„Über Nacht wurde ich zum Verräter“

In der rechten Szene lernte ich meine heutige Frau Heidi kennen. Sie war durch ihren Vater in der Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) aufgewachsen. Darauf war ich neidisch: ein Vater, der sie unterstützte! Wir dachten ja, wenn alle zu Nazis erzogen würden, wäre alles gut. Deshalb irritierte es mich, dass Heidi auf ihren Vater und auf die HDJ schimpfte: ‚Es gibt Schöneres, als am Wochenende im Wald herumzurobben!’ Trotzdem hatte Heidi ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild, sie wollte nur unabhängig von ihrem Vater weitermachen. 

Wer zu dieser Zeit als Nazi etwas auf sich hielt, ging nach Dortmund. Ich zog Hals über Kopf hin. Aber dort geriet ich zwischen die Fronten – im wahrsten Sinne des Wortes – zweier rivalisierender Gruppen, ich schlug mich auf die ‚falsche’ Seite und wurde über Nacht zum Verräter erklärt. Und die Anleitungen für den Umgang mit Verrätern, die kannte ich: „Kugeln in den Kopf“ und so. Ich floh zurück nach München und meldete mich nur bei Heidi. Wir fingen an, über manche der Neonazis zu lästern, und gingen nicht mehr ans Telefon, wenn sie anriefen. Aber „Verräter“ wollten wir nicht sein, um Gottes willen. Bis zum Ausstieg war es noch ein langer Weg.

„Plötzlich war ich wieder mittendrin“

Zunächst machte mir der Tod meines Idols zu schaffen, eines Liedermachers. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich mich so lange nicht mehr bei ihm gemeldet hatte, und traf mich daraufhin mit einem alten Kumpel. Willkommen zurück…  Dann kam meine CD raus, die ich zwei Jahre zuvor aufgenommen hatte. Zu den Texten konnte ich schon gar nicht mehr stehen, aber plötzlich bot man mir Geld für Auftritte und ich war wieder mittendrin. Alkohol war zu dieser Zeit mein fester Begleiter.

Es war dann eine szeneinterne Auseinandersetzung in München, die den Bruch nach sich zog. Ich hatte mich mutwillig in die Schlägerei begeben, hatte angegriffen und bekam Flaschen über den Kopf – Gehirnerschütterung, Schädel-Hirn-Trauma. Die Polizei drängte mich zur Aussage und ich erlebte zum ersten Mal, dass der Staat, den ich immer abgelehnt hatte, für mich zuständig war. Ich sagte aus, musste aber trotzdem sieben Monate in Haft. Und das ist nicht lustig als „Verräter“, es waren ja auch noch andere Neonazis dort im Gefängnis.

Als ich rauskam, habe ich mich sofort bei der Aussteigerorganisation EXIT gemeldet. Erstmal ist man nicht mehr aktiv, dann wird nach und nach die Ideologie abgebaut. Geholfen hat mir, dass es eine angeeignete Ideologie war, die auch Risse hatte. Und dass ich mit Heidi zusammen ausgestiegen bin und wir viel darüber sprechen konnten. Für sie war es eine totale Befreiung, endlich die Ideologie loszuwerden, nicht mehr daran glauben zu müssen.

„Jetzt habe ich tatsächlich Feinde“

Aber die Lücke zu füllen braucht viel Zeit und Ruhe. Zum Beispiel habe ich erst vier oder fünf Jahre nach dem Ausstieg wieder eine Lieblingsmusik gefunden: Rap. Ich habe angefangen, mich gegen Rechts zu engagieren, indem ich in Schulklassen meine Geschichte erzähle und aufkläre. Und ich habe die Aussteigerhilfe Bayern gegründet.

Es ist eine merkwürdige Erkenntnis, dass ich mich jetzt vor bestimmten Leuten in Acht nehmen muss. Nach der langen Zeit mit all diesen Verschwörungstheorien von wegen ‚alle gegen uns’ – jetzt habe ich tatsächlich Feinde. Aber ich wollte normal als „ich“ weiterleben, nicht meinen Namen ändern oder meine Identität ablegen. Größer als das Risiko eines organisierten Angriffs schätze ich die Gefahr ein, zur falschen Zeit am falschen Ort auf eine Gruppe betrunkener Nazi-Skins zu stoßen. Ich muss schon aufpassen.

Erschienen in Publik-Forum 20/2016

© Ulrike Schnellbach – Abdruck nur nach Rücksprache mit der Autorin

PDF-Version (Drücken Sie die rechte Maustaste und klicken Sie auf "Ziel speichern unter")