Abends auf dem Sofa

Familienarbeit wird in Deutschland nach wie vor überwiegend von Frauen geleistet. Anerkennung gibt es dafür wenig, von Bezahlung ganz zu schweigen

Von Ulrike Schnellbach

„Was machst du eigentlich?“, frage ich Anja beim Schulausflug, während sich unsere Erstklässler auf dem Spielplatz austoben. Außer uns beiden ist noch eine dritte Mutter mitgekommen, um die Lehrerin zu unterstützen; ein Vater ist nicht dabei. Eine unbedarfte Frage, aber sie hat es offenbar in sich. Anja, eine fröhliche Mittvierzigerin, reagiert leicht widerwillig. Sie arbeite Teilzeit als Sozialarbeiterin, sagt sie zögerlich. Dann beginnt sie zu erzählen, und es wird klar, warum die Frage sie ärgert.

Sie zieht zwei Söhne groß, managt den Haushalt, leistet Nachbarschaftshilfe, engagiert sich im Stadtteil. „Ich habe Tage, die man absolut mit Managertagen vergleichen kann. Da ist alles drin: Stress, Innovation, spontane Reaktionen, verantwortungsvolle Entscheidungen.“ Jetzt hat sich Anja in Fahrt geredet. „Ich führe ein erfolgreiches kleines Familienunternehmen“, zitiert sie die Mutter aus einem Werbespot. „Der Unterschied zu Managern ist lediglich, dass wir Hausfrauen das weder bezahlt kriegen, noch dass irgendeiner sich mal anerkennend äußert.“

Vielen Müttern (und manchen Vätern) fehlt die Anerkennung dafür, was sie tagtäglich an Familienarbeit leisten. Sie chauffieren ja nicht nur ihre Kinder, putzen die Wohnung, kochen das Essen, basteln, backen, spielen und richten Kindergeburtstage aus. Eine Mutter, die die Erziehungsaufgabe ernst nimmt, ist auch Psychologin, Pädagogin, Coach, Motivationstrainerin, Ernährungs- und Gesundheitsexpertin und vieles mehr.

Der Ruf nach einer „Herdprämie“

Die Journalistin Catharina Aanderud zitiert in ihrem Buch „Schatz, wie war dein Tag auf dem Sofa?“ eine US-Studie, nach der Hausfrauen insgesamt 216 verschiedene Tätigkeiten ausüben, die zusammen genommen ein Jahresgehalt von 134.121 US-Dollar wert seien. Eine Hauswirtschafterin bekomme in Deutschland immerhin 3.599 Euro monatlich – mindestens das, folgert Aanderud, müsste eine Hausfrau also verdienen. Für Aanderud liegt in der Bezahlung der Familienarbeit der Schlüssel zu besserer Anerkennung.

Der Ruf nach einem Erziehungsgehalt ist nicht neu. Bereits in den 90er Jahren wurden verschiedene Modelle diskutiert. Derzeit geht es um die so genannte Herdprämie, die nach dem Willen der CSU dem Ausbau der Kinderkrippen zur Seite gestellt werden soll. Die Begründung: So erhielten Familien echte Wahlfreiheit zwischen der institutionellen Kinderbetreuung und der Betreuung zu Hause.

Der Deutsche Familienverband geht noch einen Schritt weiter. Er will die Finanzierung der Kinderbetreuung komplett umstellen: von der „Objektförderung“ der Einrichtungen auf die „Subjektförderung“ der Kinder. So bekämen die Familien Geld für die Erziehung ihrer Kinder, mit dem sie, wenn sie wollen, eine Krippe bezahlen können. Die Krippen selbst würden dann nicht mehr staatlich gefördert.

Ein Erziehungsgehalt zementiert die traditionelle Rollenverteilung

Interessant ist, dass die Forderung nach einer Bezahlung der Familienarbeit vor allem von konservativer Seite kommt. So liegt der Verdacht nahe, dass damit das traditionelle Familienmodell zementiert werden soll. Denn je länger ein auskömmliches Erziehungsgehalt gezahlt würde, je länger also (meist) die Mutter zu Hause bleibt, desto schwerer wird die Rückkehr an den Arbeitsplatz.

In Norwegen, das 1998 ein Betreuungsgeld einführte, ist die Wirkung umstritten. Dort schicken vor allem Unterschicht- und Einwandererfamilien ihre Kinder nicht in die Kita, sondern kassieren stattdessen die Pauschale. Doch gerade diese Kinder würden besonders von der Förderung im Kindergarten profitieren. Karita Bekkemellem, bis 2007 Ministerin für Kinder und Gleichstellung, hätte das Betreuungsgeld gerne wieder abgeschafft.

Auch noch aus einem anderen Grund: Eine von ihr eingesetzte Arbeitsgruppe fand nämlich heraus, dass die Ausfallzeiten wegen der Kinderbetreuung der Hauptgrund dafür sind, dass Frauen am Arbeitsplatz durchschnittlich weit schlechter bezahlt werden als Männer.

„Nur Hausfrau“: Das reicht in Deutschland nicht

In anderen Gesellschaften ist die Einstellung zu Kindern und Familie eine ganz andere als in Deutschland. Anja aus Freiburg hat mit ihrem Mann und den kleinen Kindern in Südamerika gelebt. „Da wurde ich nie gefragt, was ich bin und was ich gelernt habe. Dort gibt es eine Wertschätzung dem Kind gegenüber und auch dir als Mutter gegenüber.“

Zurück in Deutschland erlebte Anja dann, „dass es hier nicht ausreicht, Hausfrau oder Mutter zu sein. Es stehen immer diese Fragen im Raum: Was machst du denn? Wann fängst du wieder an zu arbeiten?“ Anfangs ließ sich Anja davon nicht beeindrucken, zumal das Gehalt ihres Mannes für die Familie ausreicht. „Ich habe die Kinder schließlich nicht, um sie nachmittags wieder abzugeben“, sagt sie energisch. „Ich genieße es, sie zu begleiten und zu erziehen, ihre Entwicklung mitzubekommen. Ich bin gerne Mutter.“ Und dann stellt sie noch klar: „Ich arbeite auch gerne, aber alles zu seiner Zeit. Ich bin sogar gerne Hausfrau – das darf man ja fast nicht sagen.“

Die Auseinandersetzung um Herdprämie versus Krippenausbau wird hierzulande so erbittert geführt, dass dabei in den Hintergrund gerät, was die meisten Familien wirklich wollen. Fragt man junge Paare, so sind sie heute überwiegend partnerschaftlich eingestellt: Männer wie Frauen wollen verschiedenen Unfragen zufolge erwerbstätig sein und sich die Hausarbeit einigermaßen gerecht aufteilen.

Junge Paare sind partnerschaftlich eingestellt – theoretisch

Die allermeisten Frauen wünschen sich eine optimale Kombination von Berufstätigkeit und Muttersein. Ohnehin reicht in vielen Familien der Lohn eines Partners nicht aus. Und zunehmend wollen auch Männer mehr von ihren Kindern haben – das Stichwort „work life balance“, die Vereinbarkeit von Arbeit und anderen Lebensinhalten, wird seit einiger Zeit auch aus Männersicht diskutiert.

So weit die Theorie. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Wenn ein Kind kommt, bleiben die meisten Mütter zunächst zu Hause und arbeiten später allenfalls Teilzeit – und schon schnappt zu, was die Wissenschaft als „Traditionalisierungsfalle“ bezeichnet. Viele Männer arbeiten nach der Geburt ihres ersten Kindes paradoxerweise nicht weniger außer Haus, sondern sogar mehr. Die Zeitbudgetstudien des Statistischen Bundesamtes belegen, dass vor allem bei Paaren mit Kindern der überwiegende Teil der unbezahlten Hausarbeit nach wie vor von Frauen geleistet wird.

Paul und Sonja aus München beispielsweise waren ohne Kinder beide voll berufstätig und streben ein partnerschaftliches Modell an. Doch nach dem ersten Jahr mit Kind bilanzierte Paul selbstkritisch: „Sonja war Hausfrau und Mutter, ich Familienernährer, der morgens im gebügelten Hemd Frau und Kind küsst und ins Büro geht. Mir ist es einfach nicht gelungen, abends vor 19 Uhr zu Hause zu sein. Das Haushaltsmanagement wurde diskret und vollständig an Sonja übertragen. Entsprechend kriselig war die Stimmung hin und wieder am Abendessenstisch.“

Eine Entscheidung beider Partner – und oft sind beide damit unglücklich

Dabei ist die Schuldfrage oftmals nicht einfach zu beantworten. Einkommensunterschiede zwischen den Partnern spielen genauso eine Rolle wie die Prägung durchs Elternhaus, vermeintliche Sachzwänge gibt es immer. So betont der Konstanzer Kabarettist und zweifache Vater Tobias Bücklein, der sich viel mit Väterfragen beschäftigt: „Es ist nicht so, dass die Männer machen, was sie wollen, und die Frauen darunter leiden. Es ist eine Entscheidung beider Partner – und oft sind beide mit den Folgen unglücklich.“

Und Anja sagt: „Es geht ja nicht darum festzulegen, welches Modell besser und welches schlechter ist. Sondern darum, dass die Frauen eine echte Wahl haben.“ Dazu müsste vor allem die Ungerechtigkeit ein Ende haben, dass Frauenarbeit oft viel schlechter bezahlt wird als Männerarbeit. Was Familien außerdem brauchen, ist eine gute, flexible und bestenfalls kostenlose Kinderbetreuung – auch in den Schulferien. Und deutlich mehr Teilzeitstellen am Vormittag.

Alles unter einen Hut , aber wie?

Die Erfahrung der Sozialarbeiterin Anja ist typisch: Als die deutsche Mentalität sie schließlich eingeholt hatte und sie beschloss, wieder arbeiten zu gehen, suchte sie einen Job, der sich mit ihrer Familie vereinbaren ließ. „Aber es wurde stets höchste Flexibilität gefordert, Nachmittagsdienste und Abendtermine waren selbstverständlich“, erzählt sie. „Mit der Zeit wurde ich richtig wütend darüber, dass frau hierzulande alles unter einen Hut zu kriegen hat, und die Bedingungen dafür einfach nicht stimmen.“

Dabei hatte Anja den Luxus, dass sie so lange suchen konnte, bis sie eine Arbeit zu ihren Konditionen fand. „Es war die erste Stelle, bei der ich gefragt wurde: ‚Wie können Sie arbeiten? Sie haben ja Kinder.’“

Wichtig für eine partnerschaftliche Aufteilung wäre vor allem, dass mehr Männer Teilzeit arbeiten. So blieben der damit verbundene Karriereknick und die Einkommensverluste samt geschmälerten Rentenansprüchen nicht den Frauen vorbehalten, sondern würden gerechter verteilt. Zudem erleben Männer, die mehr Zeit zu Hause mit den Kindern verbringen, was Familienarbeit praktisch bedeutet.

Das könnte nicht zuletzt manches Gespräch abends auf dem Sofa entscheidend verändern. „Wenn mein Mann heimkommt“, verrät Anja mit einem Augenzwinkern, „fragt er mich manchmal ganz unschuldig: ‚Und, wovon bist du kaputt? Du hattest doch heute frei!’“ 

Erschienen in Publik-Forum und der Badischen Zeitung 10/2008

© Ulrike Schnellbach – Abdruck nur nach Rücksprache mit der Autorin

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